China geht jetzt gegen verseuchte Nahrung vor

Die Regierung in Peking kündigt ein Programm an, das den Panschern von Lebensmitteln das Handwerk legen soll. Verbraucherschützer sind skeptisch

AUS PEKING JUTTA LIETSCH

Mit Chemikalien verseuchte Krabben, mit Frostschutzmitteln gesüßter Hustensaft, gefälschte Polioimpfstoffe und Babymilch, kopierte Viagra-Potenzmittel und mit Pflanzenschutzmitteln beladener Salat: Nach einer Serie von Nahrungs- und Arzneimittelskandalen in China hat die Regierung in Peking den Übeltätern den Kampf angesagt. „Unser Land hat Regeln und Gesetze über die Sicherheit von Lebensmitteln, aber sie werden immer noch gebrochen, weil wir nicht hart genug durchgreifen“, erklärte Premierminister Wen Jiabao jetzt in einer Rundfunkrede. Als einen Grund nannte er unter anderem „zu niedrige Bußgelder“.

Was er nicht erwähnte, ist die wuchernde Korruption: Vor wenigen Tagen wurde der ehemalige Chef der Lebensmittel- und Pharmaaufsichtsbehörde hingerichtet, nachdem er für rund 800.000 Dollar Lizenzen für unsichere Medikamente vergeben hatte. Mit einer Vielzahl neuer Vorschriften, hochrangigen Kommissionen und schärferen Kontrollen will Peking nun das Problem in den Griff bekommen. Wer Lebensmittelpanscher oder Arzneimittelfälscher an die Behörden meldet, soll zum Beispiel bis zu 5.000 Euro Belohnung erhalten – fünfmal mehr als bisher. Agrarkontrolleure werden in den Provinzen überprüfen, ob die Bauern verbotene Pestizide auf ihre Pflanzen streuen oder Tiere mit zweifelhaften Medikamenten behandeln.

Peking reagiert nicht nur auf verunsicherte Bürger, die nicht wissen, welche Nahrungsmittel essbar sind, ohne die Gesundheit zu gefährden. Man antwortet auch auf die wachsende Kritik im Ausland. Europäische und amerikanische Zöllner hatten mehrfach chinesische Waren zurückgewiesen. Fast jedes zweite Produkt, das im Jahr 2006 in Europa beanstandet wurde, kam aus China, stellte etwa EU-Verbraucherschutzkommissarin Meglena Kuneva fest.

Wang Hai, prominentester chinesischer Verbraucherschützer, der seit über zehn Jahren gegen minderwertige und schädliche Produkte in China kämpft, ist jedoch skeptisch, ob der Sache mit einer neuen Regierungskampagne beizukommen ist. Ein Grundübel ist nach seiner Erfahrung das Strafsystem: Örtliche Funktionäre kassieren lieber regelmäßig Bußen, als Betriebe zu schließen. Denn mit dem Geld können sie ihre Verwaltung finanzieren.

Zudem fehlt ein System unabhängiger Lebensmittelkontrolleure. Die meisten Kontrolllabore gehören den Firmenverbänden. Verbraucher, denen ein Produkt verdächtig vorkommt, haben überdies kein Recht, es prüfen zu lassen. Sollte eine Untersuchung eingeleitet werden, bleiben die Ergebnisse unter Verschluss.

Kollektive Übelkeit verursachte kürzlich ein Enthüllungsprogramm im Pekinger Fernsehen: Mit versteckter Kamera filmte ein Reporter einen schmuddeligen Hinterhofimbiss, der sich auf Teigklößchen spezialisiert hatte. Um Geld zu sparen, nahm der Besitzer für die Füllung kein Schweinefleisch, sondern vermischte etwas Fett und Würze mit aufgeweichtem Karton, den er zuvor von der Straße aufgesammelt hatte. Zwar stellte sich heraus, dass die Szene gestellt war. Doch viele Chinesen sind überzeugt, dass die Geschichte glaubhaft ist – wenn auch nicht in diesem Fall, so doch in Tausenden anderen Restaurants.