AUF DER OBERBAUMBRÜCKE: Nee danke, echt nicht
Es geht langsam los, die Sache mit dem sentimental werden. Nach fünfzehn Jahren Berlin kann das passieren. Verlässlich erwischt es mich auf der Oberbaumbrücke. Dort stand ich, im Jahr 2000, frisch in der Stadt und noch frischer verlassen. Ich stand am Abend auf der leeren Brücke, schaute aufs stille Wasser und versuchte zu denken: Das wird schon wieder. Wurde dann auch. Aber immer, wenn ich über die Oberbaumbrücke gehe, denke ich an diesen Liebeskummer zurück. Es war still und einsam, er war ein Idiot, und ich heulte in die Spree. Auf der schönsten Brücke der Stadt. So einfach war das.
Jetzt komme ich kaum drüber, so voll ist das. Zwei Männer pinkeln auf die Stelle, an der ich damals stand. Es gibt Schnitzel und Glühwein. Eine Frau kreischt in ein Mikro. Ein Gitarrist fummelt am Verstärker. Ein Kumpel filmt das. Die Mädchen gehen eingehakt, die Jungs breitbeinig, alle bilden Ketten. Man kommt nicht dran vorbei. Von hinten schleicht sich einer an, bis er auf meiner Höhe ist. „Hello“, sagt er, und „Entschuldigung. Wo ist der Görlitzer Park?“
Ich erkläre den Weg, und lasse alle anderen Erklärungen sein. Das mit den Razzien, mit dem Stress, mit dem miesen Dope. Ich will nicht reden, nicht auf meiner Brücke. Aber er hört nicht damit auf. Er kommt aus Spanien, und das Übliche: Wie er heißt, wie ich heiße, was er macht, was ich mache, ob ich nicht mitkommen möchte. Nee, danke. Das sage ich leider sehr häufig: Nee, danke, echt nicht. Spanier sind besonders oft einsam. I’m lonely, sagen sie. Und ich denke: Klar. Wer nicht. Ständig zupft mich hier jemand am Ärmel und sagt, wie lonely er ist.
Bierflaschen werden aufs Pflaster geschmettert. In endloser Reihe warten Taxis auf Gäste. Es ist immer noch die schönste Brücke, wenn bloß die Menschen nicht wären. Früher konnte man hier noch ganz gepflegt einsam sein, und musste es niemandem sagen. LUCY FRICKE
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