Lobhudelei der Kurzsichtigen

PRESS-SCHLAG Augsburg mag gut sein, warum aber sind die anderen so schwach? Bayern-München-Jäger kann offenbar jeder werden

Bis auf Freiburg stehen nur Traditionsklubs im Tabellenkeller. Was hat der SC bloß falsch gemacht?

Liebe Leserbriefschreiber im Raum Augsburg! Wir wissen, ihr seid viele. Deshalb eines vorab: Es ist schon aller Ehren Wert, wie euer FC derzeit die Liga aufmischt. Aber ein klein wenig wundern darf man sich ja schon, wer in der Weltmeisterliga die Massen so in Verzückung versetzt. Erst Paderborn, nun Augsburg!

Beim Versuch dem Phänomen Augsburg näher zu kommen, leidet bei vielen etwas der Weitblick. Wenn die Spitzenpartie des 16. Spieltags FC Augsburg gegen Bayern München lautet, drängen sich trotz allen gebotenen Respekts doch viel interessantere Fragen auf als die nach der Geheimrezeptur von Markus Weinzierl. Deutlich größeres dialektisches Denkvermögen bewies seinerzeit vor gut 20 Jahren Dieter Hoeneß, der damalige Manager des VfB Stuttgart. Im ersten Bundesligajahr des SC Freiburg urteilte er: „Die müssen absteigen, sonst hätten wir anderen Vereine 20 Jahre lang alles falsch gemacht.“ Eine stark pauschalisierende Aussage. Aber mit Blick auf den gegenwärtigen VfB Stuttgart muss man ihm nachträglich beipflichten.

Seither haben noch einige andere eher bedürftige Klubs mit strategischem Denken und taktischen Konzepten finanzstärkere Teams düpieren können. Und sie wurden allesamt hochgejubelt. In Schalke, Leverkusen und erst recht in Dortmund ist man gewiss nicht böse darüber. Bei aller Lobhudelei gerät nämlich die von Hoeneß angesprochene andere Seite aus dem Blick: die Verfehlungen der Vereine mit den ganz anderen Möglichkeiten. Gewiss, die Dortmunder, die auf Augsburg bereits stolze zehn Punkte Rückstand haben, haben schon eifrig Krisenforschung betrieben. Aber in Leverkusen und Schalke scheint man sich schon glücklich zu schätzen, dass das Maximum, eine Platzierung direkt hinter den Bayern, immer noch möglich ist. Dass die Augsburger mit einem Bruchteil des Aufwandes bislang ebenso erfolgreich waren, scheint niemand zu verstören. Auch sie werden nun Bayern-Jäger genannt. Man kann auch mit recht bescheidenen Waffen in diesen Stand erhoben werden. An dem Glauben, man könne sich mit Geld Erfolg kaufen, sind bereits viele gescheitert. Aber auf internationaler Ebene gehen die Leverkusener und Schalker mit dieser Überzeugung gern hausieren, wenn man von den europäischen Großklubs wieder einmal die Grenzen aufgezeigt bekommen hat. Die beiden Klubs dürften im Achtelfinale der Champions League als Wunschlos gehandelt werden. Selbst gegen schwache Gegner mühten sie sich Mitte der Woche über die Runden. Etwas mehr Augsburger Beherztheit hätte man sich gewünscht.

Dass die Bundesliga in ihrer Hierarchie wesentlich durchlässiger geworden ist, verblüfft. Als Dieter Hoeneß das Wirken der alteingesessenen Vereine in Frage stellte, klaffte die Schere zwischen den reichen und armen Klubs noch nicht so auseinander. Schaut man auf das Tabellenende, ist die Dichte der Traditionsklubs mit dem Hamburger SV, Borussia Dortmund, Hertha BSC Berlin, Werder Bremen und dem VfB Stuttgart besonders groß. Nur der SC Freiburg fällt aus der Reihe.

Dort fragt man sich indes vermutlich, was man bloß falsch gemacht hat. JOHANNES KOPP