Solidarische Streuobstwiese

VERERBEN Reiche werden kaum besteuert. Die Initiative „Prinzip Apfelbaum“ will sie deswegen animieren, per Testament gemeinnützige Organisationen zu unterstützen

Eine Tugend des Menschen: den Blick über das eigene Leben hinausrichten zu können

VON CONSTANZE BROELEMANN

Manche sind schon vorher schlauer: „Auch wenn ich wüsste, dass morgen die Welt zugrunde geht, würde ich heute noch einen Apfelbaum pflanzen“, soll Martin Luther gesagt haben. Das berühmte Bonmot steht nun Pate für die Initiative „Mein Erbe tut Gutes. Das Prinzip Apfelbaum.“

Die 2013 gegründete Berliner Initiative möchte Menschen unterstützen, ihr Erbe oder zumindest einen Teil davon für gemeinnützige Organisationen zu stiften. Hinter dem Prinzip Apfelbaum stehen auch genau solche Adressaten: zum Beispiel Ärzte ohne Grenzen, Weißer Ring, Vier Pfoten, deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe.

Um den Dialog mit der Öffentlichkeit zu fördern, haben die Initiatoren jetzt eine Ausstellung unter dem Titel „Was bleibt, wenn ich nicht mehr bin“ gestartet. Elf große Persönlichkeiten aus Deutschland – darunter Egon Bahr, Friede Springer, Günther Grass, Anne-Sophie Mutter und Margot Käßmann – hat die Fotografin Bettina Flitner in einem Fotoessay portraitiert. Mit der Frage „Was für Spuren möchten Sie hinterlassen?“ konfrontiert, wurden die Prominenten angeregt, über sich hinauszudenken.

„Den Mut zu haben, über das Undenkbare zu denken und auch danach zu handeln, ist das, was bleibt“, wird beispielsweise Egon Bahr zitiert. Flitner hat die Porträtierten jeweils an einem für sie stimmigen Ort fotografiert. So ist Günter Grass statuenhaft in seinem Skulpturengarten abgelichtet, Friede Springer blickt am Ufer des Wannsees in die Ferne, dem Betrachter wendet sie den Rücken zu.

„Mit dem Thema haben wir einen Nerv getroffen“, sagt Maike Just, Pressesprecherin von „Mein Erbe tut Gutes. Das Prinzip Apfelbaum“. Neben der Möglichkeit, die große Frage „Was bleibt von mir?“ zu stellen, kann auch ganz praktisch gehandelt werden. Nämlich Vermögen an eine Organisation zu vererben, die mit den persönlichen Wertvorstellungen und Zielen übereinstimmt. „Hat sich jemand beispielsweise ein Leben lang für Flüchtlinge starkgemacht, wäre es für die Person möglicherweise konsequent, Pro Asyl zu unterstützen“, so Just.

Laut einer Umfrage, die die Initiative „Mein Erbe tut Gutes. Das Prinzip Apfelbaum“ kürzlich bei der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) in Auftrag gegeben hat, wüssten viele Menschen gar nicht von der Möglichkeit des „gemeinnützigen Vererbens“. Die Studie führte auch zutage, dass jeder Zehnte der über sechzigjährigen Befragten sein Erbe oder einen Teil davon einer gemeinnützigen Organisation zugutekommen lassen würde. Ein weiterer Punkt sei, dass etwa ein Drittel derjenigen, die zwar ein Erbe, aber keine Kinder hätten, grundsätzlich offen sei für die Idee des Stiftens. Als Grund für das gemeinnützige Stiften nannten fast zwanzig Prozent: „Ich möchte meine Werte weitergeben.“ 19 Prozent wollten ausdrücklich nicht, dass der Staat erbt, und etwas unter 19 Prozent führten religiöse Motive an.

Zusätzliche Relevanz, das Thema „gemeinnütziges Vererben“ anzugehen, sei der Tatsache geschuldet, dass in Deutschland in den kommenden Jahren 2,6 Billionen Euro vererbt würden. Die Generation der sogenannten Baby-Boomer kommt in die Jahre.

Stellt sich natürlich die Frage, ob das Teilen im Sinne von „etwas für das Gemeinwohl tun“ eine Frage des Alters ist. Heiko Ernst, Chefredakteur der Zeitschrift Psychologie heute, bejaht. Das deutliche Erkennen der eigenen Endlichkeit mache „philosophischer“, so Ernst. Die Phase der Generativität, also des Weiter- und Zurückgebens, trete ein. Psychologisch gesehen sei die Fähigkeit, den Blick über das eigene Leben hinausrichten zu können, von sich und seinen Problemen absehen zu können, eine zentrale Tugend des erwachsenen Menschen.

In seinem Buch „Weitergeben! Anstiftung zum generativen Leben“ spricht Ernst von einer „altruistischen Wende“, die sich spätestens im fünften Lebensjahrzehnt ankündigt. Und: einer Studie zufolge lebten generative Menschen zufriedener und gesünder, als Menschen, die nichts weitergeben.

Als begrüßenswert stuft auch Ralf Krämer von Verdi die Initiative „Mein Erbe tut Gutes“ ein. „Da habe ich nichts gegen“, so der Experte für Wirtschaftspolitik. Nur bei dem Thema Besteuerung von Vermögen und Erhöhung der Erbschaftsteuer greife diese Initiative natürlich nicht. Krämer, bei der Dienstleistungsgewerkschaft zuständig für das überparteiliche „Bündnis Umfairteilen“, plädiert stattdessen lieber dafür, Steuern aus Erbe und Vermögen einzuholen, sodass diese dem Allgemeinwohl zur Verfügung gestellt werden könnten. „Dann entscheidet nicht der Stifter oder Spender, welche Kunst beispielsweise gefördert wird, sondern im Staatshaushalt ist geregelt, wohin das Geld geht“, so der Gewerkschafter. Der Wähler entscheidet mittels Präferenz für eine jeweilige Partei mit, und die Steuereinnahmen könnten, so Krämer, für kaputte Straßen, fehlende Lehrer und sonstige Notwendigkeiten eingesetzt werden.

www.mein-erbe-tut-gutes.de www.umfairteilen.de