„Keine schwarzen Deutschen“

Auch Afrikaner kamen ins KZ. Als freie Mitarbeiterin der KZ-Gedenkstätte Hamburg-Neuengamme forscht die Historikerin Rosa Fava seit Jahren über das Thema. Sie bietet Führungen an und hat Unterrichtsmaterial entwickelt

ROSA FAVA, 36, Gymnasiallehrerin, bietet seit 2004 in Neuengamme Führungen und Projekte mit Jugendlichen an.

INTERVIEW PETRA SCHELLEN

taz: Frau Fava, gab es spezifische, gegen Schwarze gerichtete Schikanen der Nazis?

Rosa Fava: Ja. Wenn man zum Beispiel schwarze Kriegsgefangene aus den Kolonialmächten wie Frankreich machte, wurden die manchmal ausgesondert und ermordet, während die Weißen ins Kriegsgefangenenlager kamen. Und die Kriegsführung gegen schwarze Soldaten war besonders grausam. Außerdem hatten die Nazis schwarze Deutsche im Visier. Besonders die „Rheinlandkinder“, die während der französischen Besatzung nach dem Ersten Weltkrieg aus Verbindungen schwarzer Soldaten aus den französischen Kolonien mit weißen deutschen Frauen hervorgegangen waren. Viele von ihnen wurden 1937 heimlich sterilisiert. Außerdem wurden Schwarze gelegentlich wegen „Rassenschande“ verfolgt, wenn sie Verbindungen mit deutschen Frauen eingingen. Hinzu kamen Berufs- und Schulverbote.

Wie war die offizielle Haltung der Nazis gegenüber den Schwarzen?

Aus der Literatur geht hervor, dass es keine klare Linie gab. Und das aus sehr konkreten Gründen: wegen der kolonialen deutschen Vergangenheit und der kolonialistischen Ambitionen der Nazis. Sie wollten lange ein gutes Verhältnis zu England und den anderen Kolonialstaaten bewahren und überdies vor den afrikanischen Machthabern gut dastehen. Aber innenpolitisch agierten die Nazis sehr wohl rassistisch. Da gab es etliche, die Schwarze eliminieren wollten, weil sie angeblich das deutsche Volk „verrassten“.

Dann war die Rassenideologie auch opportunistisch: antisemitisch durfte sie sein, schwarzenfeindlich nicht?

Ja. Denn die Nazis konnten sich darauf verlassen, dass der Antisemitismus international so verbreitet war, dass es keinen Aufschrei gäbe, wenn man antisemitische Ehegesetze schuf oder Juden die deutsche Staatsbürgerschaft entzog. Mit den Schwarzen wagte man das nicht, und auch nicht mit Menschen aus asiatischen Ländern. Schließlich wollte man den Bündnispartner Japan nicht brüskieren.

Wer in Nazi-Deutschland trat denn für die Schwarzen ein?

Zum Beispiel die Kolonialbewegung. Deren Ideologie basierte zwar auf dem Paternalismus-Gedanken, dem zufolge die Europäer den Afrikanern die Zivilisation bringen mussten. Andererseits hatten auch viele schwarze Männer im Ersten Weltkrieg für die Deutschen gekämpft. Und schließlich gab es die kirchlichen Missionare, die ein paternalistisch-positives Afrika-Bild pflegten. Aber auch für sie gab es Grenzen: Wenn die Schwarzen unter sich blieben, läge darin keine Gefahr, wohl aber in der Vermischung. Die Einwanderer – meist Männer – sollten keine Ehen mit deutschen weißen Frauen schließen. Die Ehen, die bereits bestanden, mussten aber nicht aufgelöst werden.

Warum fanden die Nazis die Mischlinge so gefährlich?

Weil es einen ganz wesentlichen Punkt der Nazi-Ideologie betraf: Die Vermischung sei das eigentlich Schädliche, weil dabei nur die schlechten Eigenschaften vererbt würden, behaupteten sie. Die „Rheinlandkinder“ würden also langfristig zur „Vernegerung“ der Deutschen beitragen, hieß es.

Wenn die Gesetze so unklar waren: Wie gestaltete sich der Alltag der Schwarzen im Dritten Reich?

Das hing von der Region, der jeweiligen Stadtverwaltung, manchmal von einzelnen Lehrern und Bürgermeistern ab. Eine wichtige Zäsur war zudem der Krieg. Als er begann, fielen die außenpolitischen Rücksichten weg, England wurde zum Feind. Und mit dem Überfall auf die Sowjetunion wurden auch die kolonialen Pläne aufgegeben. Man kann also davon ausgehen, dass sich mit Kriegsbeginn die Lage der Schwarzen verschärfte.

Wie viele Schwarze lebten damals in Deutschland?

Es gibt dazu kaum Angaben, man kann aber von bis zu 1.000 Personen ausgehen, je nachdem, wen man dazuzählt. Schon während des Ersten Weltkriegs waren allerdings Schwarze aus den Kolonien in ihre Herkunftsländer zurückgekehrt. Als die Nazis an die Macht kamen, wiesen sie Schwarze aus, wenn sie die deutsche Staatsbürgerschaft nicht hatten und auch nicht aus den „ehemaligen deutschen Schutzgebieten“ stammten. Und wenn die Eingebürgerten ihren Pass verlängern wollten, verweigerten ihnen die Nazis das mit dem Argument: „Es gibt keine schwarzen Deutschen mehr.“ Dann wurden sie zu „Staatenlosen“ oder bekamen den Vermerk „ehemaliger deutscher Schutzgebietsangehöriger“ in den Pass. Das war aber nicht so viel wert wie die Staatsbürgerschaft, denn sie konnten zum Beispiel kein Arbeitslosengeld mehr beziehen.

Was bedeutete die Verschlechterung des Status ab 1939 konkret für die Schwarzen?

Sie wurden zum Beispiel aus der Gastronomie verdrängt, weil die Wirte meinten, sie könnten ihren Gästen keinen schwarzen Kellner mehr zumuten. Weitere Arbeitsplätze für Schwarze boten die Kolonialfilme der Nazis, die darauf abzielten, dass es gut für Afrika wäre, von den Deutschen zivilisiert zu werden. Hierfür brauchte man schwarze Schauspieler und Komparsen. Doch auch diese Einnahmemöglichkeit versiegte zusehends. Spätestens nach der Niederlage bei Stalingrad 1943 gab es hierfür keine Förderung mehr.

Mit welchen Argumenten wurden die Schwarzen in KZ gebracht? Aufgrund des Vermerks „Negermischling“, den die Nazis in ihre Karteikarten schrieben?

Man weiß nicht genau, ob dieser Vermerk der Grund oder ein Kommentar war, der zum Beispiel auf der Karteikarte einer Person, die in „Schutzhaft“ kam, vermerkt wurde. Das muss der jeweilige Einzelfall erweisen. Dem Schauspieler Mohamed Husen zum Beispiel wurde seine Liebesbeziehung mit einer weißen Frau und somit „Rassenschande“ vorgeworfen. Anscheinend konnte man ihm das aber nicht nachweisen, denn verurteilt wurde er nicht. Jonas N’doki aus Kamerun wiederum wurde der Vergewaltigung bezichtigt und ohne Beweis zum Tode verurteilt, weil er sich durch ein „animalisches Triebleben“ auszeichne. Dieses Argument reichte, um ihn zu verurteilen. Dass Menschen aber deportiert wurden, weil sie schwarz waren, war keine systematische Maßnahme, kam in nachweisbaren Fällen aber vor. Aufgrund der juristischen Grauzone lag vieles im Ermessen einzelner Autoritätspersonen.

Positive Beispiele?

Der in Hamburg aufgewachsenen Hans-Jürgen Massaquoi, der das Buch „Neger, Neger, Schornsteinfeger“ schrieb, ist unversehrt durch die Nazi-Zeit gekommen. Er hatte Glück mit seinen Lehrern und mit einen SS-Mann, der ihm sagte: „Leute wie dich brauchen wir in Afrika, um Handwerker auszubilden.“ Er hat ihm eine Stelle verschafft.

Sie schreiben in den von Ihnen entwickelten Unterrichtsmaterialien, dass einige Schwarze in HJ und Wehrmacht eintraten. Was bewegte die?

In den Büchern, die einige von ihnen darüber schrieben, erzählen sie, dass sie in der Aufbruchsstimmung der Nazi-Zeit aufwuchsen und einfach dazugehören wollten. Dass sich das, was da passierte, auch gegen sie selbst richtete, bemerkten sie oft nicht.

Jonas N’doki wurde zum Tode verurteilt, weil er sich durch ein „animalisches Triebleben“ auszeichne

Seit wann wird systematisch über Schwarze im KZ geforscht?

Mitte der Achtziger Jahre begannen Historiker, die Geschichte der schwarzen Deutschen zu recherchieren. Später zogen Historiker aus den USA nach. Alle stießen dabei auch auf die Frage, was während der Nazi-Zeit passiert war.

Wie kamen Sie selbst auf das Thema?

Ich bin im Zuge meiner Forschungen für die KZ-Gedenkstätte Neuengamme darauf gestoßen. Ein Schlüsselerlebnis war eine Unterrichtsstunde, die ich vor einigen Jahren als Referendarin für Geschichte hielt. Ob auch Afrikaner ins KZ kamen, fragte mich da ein schwarzer Schüler. Ich wusste es nicht, fand aber, dass ich das ändern müsste. Auch ohne die multikulturelle Gesellschaft und ihre neuen Fragen in Deutschland zu bemühen, ist es wichtig, über dieses Verbrechen der Nazis Bescheid zu wissen. Hinzu kommt, dass die neue Dauerausstellung der Gedenkstätte Neuengamme – als erste Gedenkstätte, soweit ich weiß – auch die Lebenserinnerungen zweier Schwarzer ausstellt.

Wie ist die Quellenlage?

Mager. In Abhandlungen über die NS-Zeit ist dies immer das kürzeste Kapitel. Das liegt vor allem daran, dass man im Nachhinein kaum herausfinden kann, wer Schwarzer war. Denn die schwarzen Deutschen hatte meist sehr deutsche Namen wie Hans Hauck oder Gerd Schramm. Die französischen Schwarzen hießen wie weiße Franzosen, die niederländischen wie weiße Niederländer. Und weil die Nazis dies nicht systematisch eintrugen, lässt es sich schwer rekonstruieren.

Wie viele Schwarze waren insgesamt in KZ?

Auch hier schwanken die Zahlen. Eine Autorin nennt 31 verifizierte Fälle, andere sprechen von 2.000 Opfern – wobei die Grundlage dieser Zahl unklar ist.

Die nächste Führung zum Thema wird Rosa Fava am 7. 10. in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme anbieten.