Wie von einem anderen Stern

INTELLIGENZ Das Asperger-Syndrom ist in Mode. Die autistische Störung wird immer mehr Genies zugeschrieben. Doch in der Realität haben es die Betroffenen schwer in Beruf und Karriere

■ Der Wunsch: taz-Leserin Christine Preißmann aus Dieburg hat uns gebeten, über das Thema Autismus, genauer: das Asperger-Syndrom, zu berichten. Auch, wie sie schreibt, „weil die aktuellen Bemühungen bezüglich der Inklusion autistischer Kinder auf großes öffentliches Interesse stoßen“. Frau Preißmann ist Allgemeinmedizinerin und Psychotherapeutin und selbst vom Asperger-Syndrom betroffen. Neben ihrem Beruf hält sie Vorträge und Seminare, schreibt Bücher und Texte für Fachzeitschriften, um so diese autistische Störung „bekannter zu machen und zu einem besseren Verständnis für die betroffenen Menschen beizutragen“.

■ Der Weg: Senden Sie Ihre Anregung an open@taz.de oder an die taz, Sebastian Heiser, Rudi-Dutschke-Straße 23, 10969 Berlin

VON SUSANNE MESSMER

Der Film „The Social Network“ über Mark Zuckerberg, den Gründer des sozialen Netzwerks Facebook, beginnt mit einem rasanten Dialog. Mark hat sich mit seiner Freundin Erica verabredet. Binnen weniger Minuten kippt das nette Geplänkel. Erica sagt in schneller Folge: „Das war ein Witz! Das war kein Code! Und: Ich wollte nicht kryptisch sein!“ Schließlich macht sie mit den Worten Schluss: „Du wirst dein Leben lang glauben, dass die Frauen nicht auf dich stehen, weil du ein Nerd bist. Das wird nicht der Fall sein. Es wird daran liegen, dass du ein Arschloch bist.“

Mark Zuckerberg, der trotz blöder Frisur und ewiger Badelatschen der jüngste Milliardär der Welt werden konnte, ist eines der bekanntesten Genies, einer jener Hoch- und Inselbegabten, von denen im Internet immer öfter behauptet wird, sie hätten das Asperger-Syndrom, eine milde Form von Autismus. Wissenschaftliche Untersuchungen sorgen für Aufruhr, die posthum bei Albert Einstein, Isaac Newton und Charles Darwin Asperger diagnostiziert haben wollen. Bill Gates hat angeblich Asperger, Steven Spielberg auch. So genannte Aspies – wie die Betroffenen sich selbst nennen – sind beliebte Gäste in Talkshows, weil sie gleichermaßen klug, schüchtern und schrullig wirken. Der britische Autor Mark Haddon schrieb mit „Supergute Tage oder Die sonderbare Welt des Christopher Boone“ einen lustigen Bestseller über einen Aspie. Kurzum, das Syndrom ist schwer in Mode.

Aber was ist Asperger tatsächlich? Die Betroffenen haben Probleme mit sozialer Interaktion, vor allem nonverbaler Kommunikation. Sie haben zum Beispiel Schwierigkeiten, die Mimik ihres Gegenübers zu deuten und etwa auf Freundlichkeit entsprechend zu reagieren. Witze, Metaphern, und Redewendungen verstehen sie nur schwer – wenn jemand „die Wände hochgehen“ möchte, erwarten sie, das er exakt dies tut. Es fehlt ihnen also an Einfühlungs- und Abstraktionsvermögen. Stattdessen haben sie andere Fähigkeiten. Sie können etwa Telefonbücher, Fahrpläne oder Formeln auswendig lernen oder bilden Spezialinteressen heraus, in denen sie es zu erstaunlicher Meisterschaft bringen.

Liegt es also nahe, dass es Aspies in manchen Berufen leichter haben? Mark Zuckerberg jedenfalls scheint ein Nerd zu sein, der – weil er sonst wenig kann – besser programmiert als andere. Der es leichter findet, Kontakte im Netz zu knüpfen, denn da muss er nicht so spontan reagieren wie auf Partys. Er ist anmaßend und egoistisch, weil er sich gar nicht vorstellen kann, was er damit bei seinem Gegenüber auslöst. Eine äußerst zielführende Mischung – das suggeriert jedenfalls der Film „The Social Network“.

Aber das ist Unfug, meint Christine Preißmann. Sie ist Ärztin für Allgemeinmedizin und Psychotherapeutin. Erst als sie 27 Jahre alt war, wurde bei ihr das Asperger-Syndrom festgestellt, gerade schreibt sie ihr drittes Buch über ihre Krankheit. „Bei gezieltem Einsatz unserer Stärken wie Gedächtnis und Ordnungsliebe kommen wir gut zurecht“, sagt die Vierzigjährige. Mehr aber auch nicht. Denn die meisten Menschen mit Asperger können nur schwer an mehreren Dingen gleichzeitig arbeiten. Sie brauchen strukturierte Tagesabläufe, schon die kleinste Veränderung am Arbeitsplatz kann sie überfordern. Und das Schwierigste, so Preißmann, ist und bleibt die Teamunfähigkeit.

Christine Preißmann meint, selbst der narzisstischste Topmanager müsse noch Soft Skills beherrschen, von denen Menschen mit Asperger-Syndrom nur träumen können. Immer wieder stößt auch sie an ihre Grenzen. „Bei einer beruflichen Fortbildung in der Provinz erklärte uns der Kursleiter, im Ort würden bald die Bürgersteige hochgeklappt werden“, erzählt sie. „Ich stand den ganzen Abend am Fenster, um nicht zu verpassen, was da geschehen würde.“ Ein anderes Beispiel: „Kürzlich sagte eine Kollegin, sie könnte in die Luft gehen. Ich dachte, sie wollte mir mit über ihr Fernweh sprechen, und fragte sie, wohin sie gern fliegen würde.“ Das klingt im Nachhinein lustig, gibt Christine Preißmann zu. Aber in jenen Momenten der Ratlosigkeit, sagt sie, sei da nur Angst.

Viele Aspies fühlen sich wie von einem anderen Stern – zumindest so, als bewegten sie sich in einem Kulturkreis, in dem es für sie keine Selbstverständlichkeiten gibt. Nie könnten sie sich in Führungspositionen durchsetzen.

Das Asperger-Syndrom mit Genialität gleichzusetzen, zu romantisieren oder zu einer Metapher zu verklären, die viel über den Zustand unserer Ellbogengesellschaft verrät, geht am Kern der Krankheit vorbei. Nämlich der Frage, wie man mit Asperger leben, wie man es therapieren kann.

Am Ende des Films „The Social Network“ verliebt sich Mark Zuckerberg in eine andere Frau. Sie sagt zu ihm: „Sie sind gar kein Arschloch, Mark. Sie geben sich nur große Mühe, eins zu sein.“ Mark Zuckerberg, so der Film, ist nur ein armer Irrer, der es nicht böse meint. Sind wir dann nicht alle ein wenig Aspie?