Hart gekämpft

GRÜNE Weil sie alles verändern wollte, hing stets dieser strenge Zug in ihrem Gesicht. Renate Künast hat Beamte im Gefängnis bezwungen und wütende Bauern. Nun, da sie Berlin regieren will, hat sich die Strenge verfestigt

 Die Kandidatin: Renate Künast, 55, tritt bei der Wahl zum Berliner-Landesparlament am 18. September als Grünen-Spitzenkandidatin an. Wird sie nicht Regierende Bürgermeisterin, möchte sie Chefin der Grünen im Bundestag bleiben. Von 2001 bis 2005 war die Juristin Verbraucherschutzministerin in der rot-grünen Bundesregierung.

 Die Konkurrenten: Klaus Wowereit, 57, SPD, seit 2001 Regierender Bürgermeister. Harald Wolf, 54, Linke, bisher Wirtschaftssenator in der rot-roten Koalition und ganz früher Grüner. Frank Henkel, 47, CDU, einziger gebürtiger Ostler unter den Spitzenkandidaten. Christoph Meyer, 35, FDP, Jurist.

 Die Umfragen: In den vergangenen Monaten lagen die Grünen sogar bei 30 Prozent – und damit vor der SPD. Die Sozialdemokraten sind aber an ihnen vorbeigezogen. Die neueste Meinungsumfrage von Infratest dimap: SPD bei 31 Prozent, Grüne und CDU im Kopf-an-Kopf-Rennen bei je 22, Linke bei 12, FDP bei 4.

 Die Optionen: Am Wahlabend könnte erst mal offenbleiben, wer regiert. Denn die Parteien haben fast nichts ausgeschlossen. Derzeit denkbar: Rot-Rot, Rot-Grün, Grün-Schwarz, Rot-Schwarz. Schwarz-Grün mit CDU-Regierungschef gilt bei den Grünen als genauso unrealistisch wie Grün-Dunkelrot.

VON KIRSTEN KÜPPERS
UND GEREON ASMUTH

Als Renate Künast im größten Männergefängnis Westeuropas den Beamten die Sache mit dem Haschisch erklärte, trug sie eine schwarze Lederjacke und lange blonde Haare. „Was man sich als Mann eben so merkt“, meint Ralph-Günter Adam, der damals dabei war. Es war Ende der Siebzigerjahre, und Künast hat gefordert, dass das Haschisch rausmuss aus der Teilanstalt 1. Sie hat darauf bestanden, eine junge Sozialarbeiterin in Jeans, die sich gegen einen Apparat von Beamten in grünen Dienstjacken und braunen Diensthosen stellt, damit die Häftlinge nicht mehr müde in den Zellen hängen, sondern hochkommen. Berlin, Tegel, Justizvollzugsanstalt, der Hof, der Backsteinbau, das war ihr Ort. Es gab was zu verändern.

„Mögen Sie schönen grünen japanischen Halbschattentee?“ Künast reißt die Schreibtischschublade auf mit den Teebeuteln. Sie sitzt in einem schmalen Zimmer in der Grünen-Wahlkampfzentrale. Unten sind die Straßen von Berlin, die Künast regieren will. Sie schickt den Pressesprecher zum Teewasserholen, guckt wach, fängt an zu reden. Das Telefon klingelt. Künast hebt den Hörer ab, knallt auf. Unbewegtes Gesicht, sie spricht einfach weiter, nur ein paar Wochen noch bis zur Wahl, keine Zeit mehr anzuhalten.

Jeden Tag auf der Fahrt zur Arbeit kommt Ralph-Günter Adam mit seinem dunkelblauen Mercedes an den Wahlplakaten vorbei, guckt hoch zur Kandidatin: eine freche Frau mit kurzer Stachelfrisur, die sich durchsetzen will. „Da ist sie wie früher“, sagt Adam. Er hat ja erlebt, wie es war, ist immer drangeblieben an ihrem Weg. Wer Renate Künast verstehen will, fängt am besten bei Ralph-Günter Adam an.

Adam ist Leiter der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel. Ein großer Mann, 63 jetzt, lässig gealtert. Der sich mit Urlaubsbräune wehrt gegen seine Umgebung und einem Schlenkern im Gang. Einer Lockerheit, die nicht passt. Adams Büro befindet sich mitten auf dem Gefängnisgelände. Uniformierte Beamte nehmen Telefonhörer in die Hand, fahren mit der Fernsteuerung Tore auf und zu, eine Sekretärin stellt sich im Gefängnishof nervös von einem Fuß auf den anderen, lächelt schief, als wären der Stacheldraht und die Mauern ein zu hässlich geratener Vorgarten. Adams Büro ist dann ein Raum mit Laminatboden und Gardinen vor den Fenstern, auf dem Tisch steht eine Thermoskanne.

Renate Künast will ins Rote Rathaus, sie will Chefin der Hauptstadt werden, hat wieder ein neues Ziel im Auge. Aber hier auf dem kahlen Gelände des Tegeler Gefängnisses hat sie angefangen mit Berlin: In der JVA haben sie und Ralph-Günter Adam einen gemeinsamen Start genommen als Sozialarbeiter. Ende der siebziger Jahre war das.

Und jetzt, wo Künast versucht, Berlin zu gewinnen und Adam die Sache mitverfolgt, sieht er es wieder hell und klar vor sich: das, was diese Frau antreibt. Die Grundhaltung, dass es nie reicht. Um Künasts Mund herum hängt wieder dieses Strenge, diesmal könnte es sich zum Dilemma auswachsen, dessen ist sich Adam bewusst. „So was kommt ja nicht bei allen gut an.“

Die Sache mit dem Haschisch, das ist über dreißig Jahre her, mein Gott, sagt Adam, sie haben beide graue Haare gekriegt mittlerweile, eine Mauer ist gefallen, politische Systeme sind gestürzt, Berlin ist eine andere Stadt als früher. Adam streckt lang den Arm aus, lässt ihn in der Luft hängen, quasi als Wegweiser, wie weit das alles zurückliegt, er will hier nicht zum Kronzeugen werden für irgendwas. Dann klappt er den Arm ein und sagt, dass er in der Politikerin Künast die Kollegin von damals ziemlich gut erkennt: „Dass sie den Leuten nicht nach dem Mund quatscht, zum Beispiel. Wie andere.“ Und das zufriedene Geräusch, das Adam macht, zeigt schon: Er hat beschlossen, die Kandidatin erst mal gut zu finden.

Künast redet und redet. Sie sagt, dass sie einen „Zug in Bewegung bringen“ will. „Der wird ja dann von alleine schneller“, spricht über erneuerbare Energien, Investitionsmöglichkeiten, „Urban Technologies“, sie holt kaum Luft. Man kommt nicht mehr mit. Ein Zug in Bewegung, der von alleine schneller wird.

Es war eine Zeit, in der die Ordnung im Knast eine andere wurde. Ein neues Strafvollzugsgesetz trat 1977 in Kraft. Vorher sei es vor allem darum gegangen, aufzupassen, dass die Gefangenen nicht weglaufen, erklärt Adam. Mit dem neuen Gesetz seien sie erstmals als Menschen betrachtet worden, die eine Tat verarbeiten mussten, die irgendwann wieder in die Gesellschaft zurücksollten. Der damalige Berliner Justizsenator rief den Slogan aus „Sozialarbeiter in die Knäste“.

Und da kamen sie dann: Künast, Adam und die anderen. Leute in Jeans, T-Shirt und Jesuslatschen, die das alte System umkrempeln wollten. Von innen heraus. Sie trafen auf die Beharrlichkeit der Beamten. „Und dann kommen da so ein paar Flippis an, auf die hier keiner gewartet hat und die auch keiner haben wollte“, ruft Adam, er lacht der Vergangenheit hinterher. „Da prallten Welten aufeinander. Da musste erst gegenseitiges Misstrauen abgebaut werden“.

„Ich bin eine Kämpfernatur“, sagt sie. Die Werbeleute wollen ihre Stärke verkaufen in diesem Wahlkampf. „Renate kämpft“ steht auf ihren Plakaten.

In Tegel war es so wie immer: Das, was sie wollte, war nicht vorgesehen. Also hat Künast gestritten, gestrampelt, gekämpft. Bis sie es doch gekriegt hat. Das ist ihre Methode. Die Gegner, die sie sich aussucht, sind über die Jahre nur größer geworden.

So fing es in Recklinghausen an: der Vater, Fahrer für den Chef der Fabrik, die Mutter, die als Hilfskrankenschwester dazuverdiente. Der Vater wollte nicht, dass sie die Realschule macht, sie hat sich durchgesetzt. Ist später auch nicht Bankkauffrau geworden, wie die Mutter das gern gehabt hätte; hat als Erste in ihrer Familie ein Studium geschafft; sich die Sprüche von Freunden angehört, die fanden, wer in den Knast geht, unterstütze die falschen Zusammenhänge. Künast übernahm die Aufgabe im Gefängnis trotzdem.

Ende der siebziger Jahre kam das Haschisch nach Tegel. Die Drogen kommen in den Knast, wie alles, mit dem man Geld machen kann, meint Adam. Er hat da als Chef eine realistische Einstellung. Die Gefangenen waren nicht laut und aggressiv, für das Gefängnispersonal war das Hasch eine bequeme Droge. So wie die Dinge lagen, musste etwas geschehen, fand Künast.

Sie hat sich angelegt mit dem Personal. Es gab nicht viele Frauen unter den JVA-Beamten, es dauerte, bis die Männer ihr überhaupt zugehört haben. Sie musste sie überreden, die Gefangenen nicht sich selbst zu überlassen. Dass wer eine Therapie macht, Bewährung bekommt. Dass man Ausflüge nach draußen wagen könnte. Einem Gefangenen, der an die Zellentür: „Friede den Hütten, Krieg den Palästen“ geschrieben hatte, schenkte sie ihre ausgelesenen Spiegel-Hefte.

Die Sozialarbeiter führten Schulstationen ein, auf einmal konnten Gefangene eine Ausbildung machen. Es gab Versammlungen auf den Fluren, „Gefangenenmitverantwortung“ war eine beliebte Forderung. Adam ist kein poetischer Typ, aber es klingt einigermaßen dankbar, wenn er sagt: „Diese ganzen Neuerungen, die wir heute für selbstverständlich halten im modernen Strafvollzug: Renate Künast war eine von denen, die dafür die ersten zarten Pflänzchen gesetzt haben.“ Er brummt: „Spannende Zeit einfach“.

Künast wollte nicht nur ein neues Gesetz umsetzen. Sie wollte Gesetze machen. Sie hat ein Jura-Studium drangehängt, wurde Anwältin, schnitt sich die Haare ab, trug statt der Lederjacke öfter Blazer. Ging für die Westberliner Grünen, die da noch Alternative Liste hießen, in die Lokalpolitik. Adam las es in der Zeitung. Bei ihm in der JVA Tegel wurde ein neues Gebäude für einen offeneren Vollzug gebaut. Gefangene konnten einen Hauptschulabschluss machen. Das, was Künast, er und die anderen losgetreten hatten, ging weiter.

Abends Papierberge, nachts das Handy bereit

Der Gefangene, dem Künast die Spiegel-Hefte geschenkt hat, wurde Taxifahrer. Ralph-Günter Adam stieg 2001 zum stellvertretenden Leiter der JVA auf. Renate Künast wurde Ministerin.

Für sie war es eine dieser Situationen: Als Bundesministerin für Landwirtschaft und Verbraucherschutz wollte sie alles verändern und wurde von allen Seiten beschossen. Den Bauernverband hatte sie gegen sich, die Lebensmittelverbände, die BSE-Krise hing ihr im Nacken, das Fernsehen zeigte Berge notgeschlachteter Rinder. Künast musste mit sechs Bodyguards über die Grüne Woche laufen, und auf dem Bauerntag in Münster wurde sie von einer Mehrzweckhalle wütender Bauern ausgebuht. „Nicht lustig“, sagt Katrin Göring-Eckardt, die heute Vizepräsidentin des Bundestags ist und die damals mit Künast eine Wohnung in Berlin-Friedenau geteilt hat. „Man hat Renate Künast total unterschätzt.“ Eine frühere Mitarbeiterin von Künast glaubt: „Man hat auch das Gefühl, sie sucht solche Situationen.“

Es war kein entspanntes WG-Leben, das sie damals geführt haben, sagt Göring-Eckardt. „Wenn beide früh aufstehen und spät nach Hause kommen, bleibt nicht viel.“ Künast stand unter Druck. Diesmal wollte sie das deutsche Landleben umorganisieren, wollte Legehennen befreien, mehr Biobauernhöfe, wollte weg vom billigen Fleisch voller Zusätze. Nachts hat sie sich durch Berge von Papier gearbeitet, erzählt Göring-Eckardt, sie hat kaum geschlafen, ihr Handy legte sie neben das Kopfkissen.

Ralph-Günter Adam sah seine ehemalige Kollegin im Fernseher, wie sie in Gummistiefeln durch Kälberställe stapfte.

Der strenge Zug hing an ihrem Mund, ihre Mitarbeiter gewöhnten sich an, auf ihre Launen zu achten. Es war wieder so weit: Ein guter Tag ist einer, an dem sie die Umstände bezwungen hat. „In solchen Situationen werde ich muffelig“, schreibt Künast in einem Buch über sich. „Ich konzentriere mich ganz nach innen und wehre jede äußere Irritation oder Ansprache ab.“

Es war auch eine tolle Zeit – Künast hat das aufgeschrieben in ihrem Buch. Sie ging auf Reisen, einmal hat sie Prinz Charles zum Tee getroffen, sie saß bei informellen Ministertreffen mit den EU-Kollegen in Schweden in der Sauna, stand nachts an der Hotelbar. Sie fiel auf unter den Landwirtschaftsministern. Sie war spritzig, charmant, konnte diskutieren. Am Ende hat sie dazu beigetragen, dass die Republik anders aussieht. Mehr Biobauernhöfe, ein Biosiegel und Biogemüse sind nicht mehr nur Ideen von Ökospinnern.

Künast redet immer noch. Über Genmais, über Dankesbriefe, die ihr Bioladenfachverkäufer schicken, sie wärmt sich an den alten Erfolgen. Sie könnte längst still sein. Keiner will ihr diese Erfolge nehmen. Aber sie redet. Als hätte sie Angst vor einer Leere, die sich sonst auftut. Ihr Pressesprecher hängt mit betretenem Gesicht im Sessel, er guckt auf die Uhr.

Natürlich: Wer so eine Zeit als Ministerin erlebt hat, möchte, dass sie andauert. Ihre Welt ist klein geworden, seit die Macht weg ist. Um die Bedeutung, die blieb, rang sie mit den anderen, mit Bütikofer, Roth, Özdemir, Trittin. Sie kam nicht mehr raus aus Deutschland, Prinz Charles hat sie auch nicht wiedergesehen. „Die Jahre in der Opposition sind ihr sehr schwergefallen“, sagt die ehemalige Mitarbeiterin.

Nach Stuttgart 21, nach Fukushima, nach den Grünen-Siegen in den Ländern fliegen die Hoffnungen hoch. Es ist auch klar, dass sie eine neue Regierungsbeteiligung der Grünen im Bund ungern Jürgen Trittin allein überlassen will. Was passiert, wenn sie als Berliner Bürgermeisterin festhängt und es bessere Ämter zu verteilen gibt?

„Dann bleibe ich Regierende Bürgermeisterin von Berlin“, ruft Künast. Sie steckt im Wahlkampf. Sie muss das sagen. Keiner wählt eine Kandidatin auf Abruf.

Ralph-Günter Adam, inzwischen vom Stellvertreter aufgestiegen zum Leiter der JVA-Tegel, hat im November in der Zeitung gelesen, dass Künast kandidiert. Er fand es gut, dass sie zurückkommt von den Politikergipfeln, heimkommt nach Berlin.

Künasts Leben hat wieder an Fahrt aufgenommen, aber die Kandidatur lief nicht gut an. Sie hat ein paar Interviews gegeben: Sie forderte Tempo 30 für den Berliner Stadtverkehr, stellte das Gymnasium als Schulform infrage, dachte laut darüber nach, ob Berlins neuer Flughafen unbedingt ein internationales Drehkreuz werden müsse.

Ralph-Günter Adam sieht Künast ab und zu bei einem Empfang. Sie grüßen sich, wechseln ein paar Worte. Mit Rüdiger Portius, dem Strafverteidiger, den Künast im Februar geheiratet hat, hat Adam beruflich zu tun.

Ein sturzbetrunkener Wahlkampfmanager

Adam verfolgt die Lage: Er guckt die Lokalnachrichten, liest Zeitung. Er sieht, dass Klaus Wowereit, der amtierende Bürgermeister, der die vergangenen Jahre seinem angedichteten Bärenimage immer näherzukommen schien, der schon ziemlich schlapp und gelangweilt durch die Berliner Lokalpolitik geschlurft war; Adam sieht also, wie dieser Wowereit durch Künasts Kandidatur regelrecht aus seinem Winterschlaf geweckt wurde. Wowereit läuft jetzt mit offenen Armen durch die Stadt, von Betriebsjubiläum zum Rundgang im Einkaufszentrum, sammelt gut gelaunt seine Wähler ein. Während der harte Zug in Künasts Gesicht festhängt.

Ihre Umfragewerte gehen runter. Wowereit liegt vorn.

Im Juni wurde ihr Wahlkampfmanager sturzbetrunken von der Polizei aufgegabelt. Es war nachts um vier, der VW Polo des Wahlkampfmanagers stand an der Ampel, laufender Motor, Blinker eingeschaltet, der Wahlkampfmanager schlafend überm Lenkrad. Als die Polizei ihn aus dem Wagen bugsierte, trat er um sich. Er war vorher auf Wowereits Sommerfest im Roten Rathaus gewesen. Künast hat ihn umgehend entlassen.

Bei der verpatzten Präsentation wird sie sauer

Als die Grünen im Juli in einer Werbeagentur ihre Kampagne vorstellte, postierte sich Renate Künast vor ein Plakat, das eine Schultafel zeigt. Auf der Tafel steht mit Kreide „Fällt aus!“. Gemeint ist, dass die Grünen sich dafür einsetzen wollen, dass in Berlin weniger Schulstunden ausfallen. Aber so, wie sie sich vor der „Fällt aus!“-Tafel aufgestellt hat, sah es aus, als falle Künast aus. Als eine junge Journalistin ihr eine Frage stellte, antwortete sie nicht, sie hat sie nur angeblafft und sich weggedreht. Sie war sauer. Fällt aus. Alle Zeitungen haben das Foto gedruckt.

Es ist schon klar: Wer sich durchs Leben gebissen hat, wird keine Königin der Herzen. Man fragt sich trotzdem, warum sie sich so zeigt. Es wäre nicht schwer, freundlicher zu sein. Künasts Pressesprecher erklärt, sie wollten diese Wahl nicht mit Gefühlen gewinnen, sondern mit Politik. Es fällt auf: Der gefeuerte Wahlkampfmanager war einer der wenigen im Team, der nicht ewig dabei gewesen ist. Jetzt ist sie vor allem von Leuten umgeben, die sie Jahre kennen.

Sie trinkt keinen Alkohol mehr, erzählt Künast. Um im Wahlkampf durchzuhalten. Ein Trick, den sie von Joschka Fischer gelernt habe. Joschka Fischer!

Andererseits ist die Lage wie geschaffen für sie. Sie kennt es, dass die Dinge gegen sie laufen. Aus der Defensive heraus war sie stets am besten: Sie hat sich um Freiheit gekümmert, um Ernährung, die großen Themen, wurde mit hunderten Gefängnisbeamten fertig, mit tausenden Bauern.

Aber bis jetzt hat sie kein Thema. Nur sich.

Und ihr Gegner ist diesmal keine Armee wütender Dreschflegel. Nur Klaus Wowereit, der nette Bär. Auf seinen Wahlplakaten knufft ihn ein Kind mit einem Stofftier in die Nase.

Ihre Ideen für die Stadt sind: keine Bebauung des ehemaligen Flughafens Tempelhof, keine Hochhäuser am Alex. Milieuschutz für alle, Tempo 30, Berlin soll Klimahauptstadt werden. Es klingt nach Kleinstadt. Das Klima retten wollen inzwischen schon schwäbische Dorfschulzes von der CDU. Das klingt nach zu wenig für Berlin. „Da wird noch was geschehen“, glaubt ihr Parteifreund Wolfgang Wieland.

Vielleicht will Berlin aber auch gar nicht verändert werden, diese Stadt, die sich immer durchmogelt und dabei groß vorkommt. Es kann sein, dass Künast einfach nicht zu Berlin passt mit ihrem Tatendrang.

„Ende September bin ich 35 Jahre in Berlin. Das ist meine Heimat. Es ist schwer vorstellbar, woanders zu leben. Weil das ein unheimlich freies Leben hier ist. Ich mein jetzt nicht: frei von Verantwortung. Sondern wegen der vielen Möglichkeiten. Und jetzt möchte ich was zurückgeben.“

Berlin, Wahlkampfzentrale, das ist jetzt ihr Ort. Es gibt etwas zu verändern. Die Frage ist nur, was.

Kirsten Küppers, 39, sonntaz- Autorin, kam über die Berlin-Redaktion zur taz

Gereon Asmuth, 46, leitet als Chef des Berlin-Teils der taz die Berichterstattung zur Wahl