PRESS-SCHLAG
: Die Erbinnen von Uwe Zötzsche

AUFSTEIGER Die Frauen von Lok Leipzig wollen eine große Fußballtradition wiederbeleben

Die Fanbasis mag überschaubar sein, aber das ist das Schicksal der Avantgarde

Lok Leipzig, die Älteren unter uns werden sich erinnern, das war mal eine Nummer. Die Paraden von René Müller, die Locken von Olaf Marschall, die Zischlaute in Uwe Zötzsche – Lok Leipzig war ein einziges großes Gesamtkunstwerk. Betonung auf: war. Lange vorbei sind die Zeiten der großen Europapokalschlachten, die Zonenpokale in der Vereinsvitrine stauben vor sich hin. Zuletzt hörte man vor allem von braun unterlaufenen Fanblöcken im Bruno-Plache-Stadion. Ansonsten? Fehlanzeige. Nun aber, nach langen Jahren in den Niederungen der Fußballwelt, gibt es wieder Hoffnung bei den Gelb-Blauen.

Sie sind nämlich aufgestiegen. Spielen wieder in einer Liga mit Bayern und dem HSV. Entscheidender: auch mit den großen Klubs aus Potsdam, Duisburg und Frankfurt. Denn, es dürfte kaum mehr ein Geheimnis sein, die Aufsteiger sind Aufsteigerinnen. Das Frauenteam der Loksche, wie Fans den Verein in liebevoller Zuneigung rufen, sicherte sich bereits im April den Sprung in Liga eins. Die Pendants zu Müller und Marschall heißen nun Safi Nyembo und Anne van Bonn, sind junge, hungrige Spielerinnen und wollen eine neue Erfolgsepoche einläuten.

Leipzig ist also wieder erstklassig. Tobt da jetzt die Stadt? „Da könnte schon noch mehr kommen“, nüchtert Trainerin Claudia von Langen alle Glückstrunkenen schnell wieder aus. Aber: „Wir werden den Frauenfußball hier schon noch pushen.“ An den ersten beiden Spieltagen müssen sie gleich gegen die Meisterschaftsfavoritinnen von FCR Duisburg und 1. FFC Frankfurt ran. „Vielleicht ist es ja gut, wenn wir die Kracher zuerst haben“, so von Langen, „da sind die Erwartungen nicht so hoch und wir können frei aufspielen.“

Die neue Trainerin kam vor der Saison vom HSV. Von dort brachte sie fast die halbe zweite Mannschaft, die für diese Spielzeit zurückgezogen worden war, mit nach Leipzig. Der HSV II war Meister, Loksche Zweiter in der 2. Bundesliga Nord. Eine Fastfusion auf hohem Niveau also. Neu ist deshalb Kathrin Patzke, mit 21 Treffern letztjährige Zweitliga-Torschützenkönigin. Nicht viel schlechter war Safi Nyembo: Die im Moment noch verletzte Lok-Torjägerin erzielte vergangene Saison 19 Tore in 21 Spielen. Ein Sturmduo, das hoffen lässt.

Noch aber zieht die Männermannschaft – Oberligist des Nordostdeutschen Fußballverbandes Süd – mehr Aufmerksamkeit auf sich als die Frauen. Budissa Bautzen heißt der erste Gegner der Männer. In Bautzen werden mehr Fans sein als beim Debüt der Frauen in Duisburg. Bis zu dreitausend Fans kommen zu den Oberliga-Spielen, während die Frauen zum Heimauftakt in der kommenden Woche gegen den 1.FFC Frankfurt schon mit tausend Besuchern zufrieden wären. Dennoch: „Die Vorfreude bei den Mädels ist groß“, so von Langen, „und jetzt wird’s Zeit, dass es endlich losgeht.“

Gelb-Blau wird wieder salonfähig: Bald schon wird man nicht mehr an 1,8-Prozent-Parteien denken, nicht mal an Eintracht Braunschweig, sondern einzig und allein an die Wunderfrauen von Leipzig. Was gefühlte zwanzig Leipziger Klubs im Männerbereich nicht geschafft haben, haben die Frauen ihnen vorgemacht. Noch haben die wenigsten erkannt, welches Potenzial da schlummert. Die Fanbasis (derzeit 20 verkaufte Dauerkarten) mag überschaubar sein, aber das ist eben das Schicksal der Avantgarde. Bald werden alle auf die Lokomotive aufspringen. Die Aussagen, man sei Abstiegskandidat Nummer eins? Nur geschicktes Understatement. Die Klasse wird man halten, sicher, und bald, ja bald wird man bereit sein für höhere Ziele. Noch lodert die Loksche nur, bald wird sie heißlaufen. Seien Sie sich dessen gewiss. JENS UTHOFF