Großartige Probleme

ABSTIEGSKAMPF Borussia Dortmunds Trainer Jürgen Klopp muss auch in Berlin feststellen, dass sein Team krass vom vorgegebenen Plan abweicht und der sowieso schon immense Druck nach der Niederlage weiter steigt

„Wir sind überzeugt, dass wir eine großartige Mannschaft haben“

MANTRA VON JÜRGEN KLOPP

AUS BERLIN JENS UTHOFF

Jürgen Klopp schien dann doch so eine Vorahnung zu haben, und es war keine gute. Schon wenige Minuten nach Spielbeginn stand er in seiner Coaching Zone, die ihm an Tagen wie diesem Samstag wohl mehr wie eine kleine Gefängniszelle vorgekommen sein muss, in welcher der vierte Offizielle, der Wärter also, ein wachsames Auge auf ihn hatte. Klopp fuchtelte mit den Armen. Genauer gesagt malte er Kreise in die Luft. Wie kleine Wirbel sahen die aus. Nur übertrugen sich diese dynamischen Zeichen nicht auf seine Spieler auf dem Platz. In der zweiten Hälfte stand Klopp dann die meiste Zeit nur noch wie angewurzelt da, ging nachdenklich auf und ab. Oder aber er trat auf der Stelle.

Es gab Zeiten, da konnte Klopp „völlig tiefenentspannt“, wie er gern betonte, nach den Spielen bei den Pressekonferenzen sitzen. So wie sein BVB damals in der Position des Jägers war, so fühlt sich derzeit jede weitere Niederlage so an, als würden die Schwarz-Gelben mit dem Pfeil ins Herz getroffen. Nun ist sich Klopp, um einen Superlativ selten verlegen, der fatalen Situation „maximal bewusst“. Nach den niederschmetternden 90 Minuten bei der Berliner Hertha saß er angekratzt auf dem Podium und sagte weiter: „Wir sind uns unserer Verantwortung bewusst und ich mir meiner Rolle auch.“ Er hätte dies nicht unbedingt mitteilen müssen. Man sah es auch so.

Man musste diese 0:1-Niederlage ja nicht nur gegen die nun in der Tabelle vor ihnen platzierten Berliner einstecken. Die Art und Weise, mit welcher der BVB nun wieder auf den Relegationsrang zurückgeworfen wurde, gab zu denken. Alles in allem konnte man nicht mal von einem unverdienten Erfolg des Teams von Jos Luhukay sprechen – nein, diese BVB-Elf agierte im Gegensatz zu ihrem Vermögen spielerisch allzu beschränkt. Vor allem in Hälfte eins, so Klopp, habe man das „krasse Gegenteil von dem, was wir vorhatten“, gespielt. Hertha praktizierte bestes Pressing nach Dortmunder Art, machte die Räume eng, und ein Spieler wie Henrikh Mkhitaryan (der sich verletzte und nun zu allem Überfluss auch noch ausfällt) wurde fast ständig gedoppelt.

So ist die Stimmung in Dortmund nach der kurzzeitigen Aufhellung von letzter Woche wieder reichlich düster. Denn Hertha hat – in der zweiten Halbzeit dann größtenteils mit Mauerfußball – gezeigt, mit welchen Mitteln dieses Dortmunder Team derzeit zu knacken ist. Es waren keine Zauberkräfte, auch nur ein wenig Glück (am meisten noch, als Ciro Immobile in der zweiten Hälfte hätte freistehend mit dem Kopf treffen müssen). Es war die Zweikampfstärke, das Eng-am-Mann-Sein, das laufintensive Verschieben, das ausreichte, um Dortmund zu schlagen. Einer der gewonnenen Zweikämpfe im Mittelfeld führte kurz vor der Pause dank eines starken, überlegten Abschlusses des Ex-Dortmunders Julian Schieber zum Siegtreffer.

Dass der BVB es gegen die in Hälfte zwei extrem tief stehenden Herthaner viel mit hohen, langen Bällen probierte, mag noch verständlich gewesen sein, zumal der kopfballstarke Adrian Ramos nun für Sebastian Kehl gekommen war. Aber die Spielanlage war zu eindimensional. Es fehlte an kreativer Kraft und einem Spieler, der die Initiative an sich gerissen hätte. Ilkay Gündogan war nicht so dominant wie zuletzt – und bei einem solchen, nicht immer ansehnlichen Kick wie jenem in Berlin machte sich das Fehlen des verletzten Marco Reus doppelt bemerkbar.

Nun deutet sich an, dass es ein langer, laaanger Abstiegskampf für Borussia Dortmund werden könnte. „Der Druck hat sich noch vergrößert, wo er eh schon groß war“, sagte Klopp. In zwei ausstehenden Partien in diesem Jahr (am kommenden Mittwoch gegen Wolfsburg und am Samstag in Bremen) habe man nun noch die Chance, die Ausgangslage wesentlich zu verbessern. „Wir sind nach wie vor überzeugt, dass wir eine großartige Mannschaft haben. Doch die großartige Mannschaft hat großartige Probleme“, so der Coach. Nach diesem Rückschlag jedenfalls kann man nicht erwarten, dass sich an der schwierigen Dortmunder Lage vorerst grundsätzlich viel ändern wird.