Die Entdeckung der Sinnlosigkeit

Der Verein Unter Hamburg bietet öffentliche Führungen durch drei von etwa 700 Bunkern in Hamburg an. Mit dabei ist der Bunker unter dem Hachmannplatz, zentral am Hauptbahnhof. Unser Autor hat sich unter Tage umgeschaut

VON OLIVER WASSE

Unsere Gruppe besteht aus 16 Menschen, Angestellte im besten Alter und Senioren, keine Jugend. Der Eingang zum Bunker ist unauffällig. Er sieht nicht aus wie eine Tür – eher wie ein etwas größerer Einstieg zu einem Lüftungsschacht. Es geht durch einen schmalen, ungemütlichen Gang zur Gasschleuse und von dort in den Bunker. Es ist unbehaglich, es ist hier wirklich nicht schön.

Jörn Lindner, Vorsitzender des Vereins Unter Hamburg und unser Reiseführer, beginnt mit einer kurzen Theoriestunde über den historischen Kontext des Bauwerkes – vom Zweiten Weltkrieg bis zum Kalten Krieg. „Bunker wie dieser sind eigentlich sinnlos“, sind seine ersten Worte. Beruhigend ist das nicht. Lindner fährt fort: „Im Falle der Bedrohung durch eine Atomexplosion während des Kalten Krieges hätte man hier 1.400 Menschen untergebracht, die 14 Tage lang bei 30 Grad und 80 Prozent relativer Luftfeuchtigkeit aufeinander gehockt hätten.“ Die Gruppe ist beeindruckt. Aber es fragt keiner nach. „Dazu später mehr“, sagt Lindner und beginnt seinen Rundgang durch das unterirdische Gemäuer. Nach der Führung wird er verraten, dass er mit dieser Einleitung unter anderem das Ziel verfolgt, „die Überschlauen ein bisschen kleinlaut zu kriegen“. Falls es Solche hier gab, hat das funktioniert.

Lindner zeigt uns die Technik, genauer gesagt: die „Funktionsräume“. Dazu zählen die Küche, das Notstromaggregat, die Lüftungsanlage und der Raum des Bunkerwarts. Er zeigt auch die Dosieranlage am Eingang. „Das ist ein astreiner Euphemismus“, sagt er. „Die Dosieranlage ist ein im Boden eingearbeitetes Zählwerk. Läuft der 1.400. Mensch drüber in den Bunker, wird dicht gemacht.“ Zum Schrecken aller Anwesenden macht er diese Situation anhand des berühmten Fotos aus dem Brüsseler Heyselstadion anschaulich, das zeigt, wie Fußballfans am Zaun erdrückt werden.

Dann stellt er die Frage nach den Zivilschutzplanungen zur Zeit des Kalten Krieges in beiden deutschen Staaten und beantwortet sie gleich darauf selbst. „In der DDR wurde eine absolut propagandistische Planung betrieben – jeder wusste genau, was der Staat macht.“ In der Bundesrepublik sei das ganz anders gewesen. „Man entfernte sogar die Schilder von den Bunkern, damit ja nichts von der umfangreichen, lückenlosen Planung an die Öffentlichkeit gerät. Dabei sind Ihre Lebensmittelkarten schon gedruckt!“

Auch die nächste Information, die Jörn Lindner seinen Gästen gibt, will erst einmal durchdacht werden. Man sei in den sechziger Jahren geradezu spielerisch mit Radioaktivität umgegangen, sagt er. „Das ist wie bei James Bond: Er kommt auf die Insel von Dr. No, wird verstrahlt, geht duschen und rettet die Welt. So hat man sich das hier auch vorgestellt: Wenn einer mit radioaktivem Staub reinkommt, wird er nur abgeduscht. Spätfolgen, wie wir sie aus Hiroshima, Nagasaki und Tschernobyl kennen, hat man damals einfach nicht eingeplant.“ Über den Tod durch Strahlungskrankheiten habe man damals nicht nachgedacht.

Zum Schluss gibt Lindner noch eine Theorieeinheit. „Wenn in 1.000 Metern Entfernung, unter Berücksichtigung eines bestimmten Winkels in 100 Metern Höhe eine Bombe mit 20 Kilotonnen Sprengstoff einschlägt, hält das Bauwerk theoretisch Stand. Eine Rakete vom Typ RT-21M besitzt jedoch mehrere Sprengköpfe mit einer Sprengkraft zwischen 50 und 100 Kilotonnen. Eine von denen kann einen 100 Meter tiefen, 600 Meter breiten Krater reißen. Dieser Bunker hier – wäre einfach weg.“ Jetzt wollen die Leute raus.

Draußen erläutert Lindner, was der Verein Unter Hamburg mit diesem Führungskonzept erreichen möchte: „Wir wollen kein protziges Bauwerk zeigen und die Leute mit Zahlen langweilen, sondern ihnen anschaulich die Sinnlosigkeit der militärischen Planungen der sechziger Jahre verdeutlichen. Dies ist keine Geisterbahn der Geschichte, in der man sich mal für eine Stunde gruseln kann, sondern politische Bildung mit Bezug auf verschiedene politische Entwicklungen und Diskurse.“

Weitere Informationen zum Verein, seiner Arbeit und den Führungen unter www.unter-hamburg.de oder unter ☎ 040 / 68 26 75 60