Bremen will bedürftig bleiben

Bremen sei gar kein „Haushaltsnotlageland“, rechnet ein renommierter Finanzprofessor im Auftrag der Geberländer vor und beziffert das jährliche Sparpotenzial auf eine Milliarde Euro. Für Bremens Bürgermeister ist das „akademisches Geschwafel“

„Die Spätzle-Studie“: Baden-Württembergs Finanzminister Gerhard Stratthaus legte dieses Gutachten von Würzburger Ökonomen vor. These: Finanzhilfen bringen nichts, sondern schaden. Gegenwind auch aus dem Norden: Der Münchener Verfassungsrechtler Stefan Korioth sagt im Auftrag mehrerer Nordstaaten, Bremen habe keine weitere Sanierungshilfe verdient, weil es bislang die Sparpotenziale bei weitem nicht ausgeschöpft habe. Und die Sanierung seiner Staatsfinanzen habe das Land „nicht einmal ernsthaft in Angriff genommen“. Die Antwort aus Bremen: Fast zu einem Drittel sei der Bremer Haushalt schon jetzt kreditfinanziert. Weitere Steuererhöhungen kämen nicht in Frage, sonst drohe Abwanderung. Und nachdem das Land seit 1994 für 2,3 Milliarden Euro öffentliches Eigentum verkauft habe, sei auch da nichts mehr zu holen. Zudem habe Bremen die höchste Sozialhilfedichte unter den Ländern.  taz

VON JAN ZIER

Die Erkenntnis ist, seit langem schon, in Bremen Allgemeingut geworden. Und ein jeder in der Stadt hat sie verinnerlicht. Kein Tag mehr, an dem nicht irgendwelche PolitikerInnen beliebiger Couleur der „extremen Haushaltsnotlage“ des Landes das Wort reden. Kein Wunder, zeigt doch die Schuldenuhr in der Innenstadt reichlich 14 Milliarden Euro an, 21.375 Euro pro BremerIn. Tendenz: schnell steigend.

Alles ganz anders, rechnet jetzt der Heidelberger Finanzwissenschaftler Lars Feld vor – und rüttelt an den Grundfesten bremischer Politik: In einem Gutachten, das Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen bei ihm in Auftrag gegeben haben. „Es kann keine Haushaltsnotlage festgestellt werden“, heißt es da ganz lapidar. Und weiter: „Bremen kann seinen Haushalt aus eigener Kraft konsolidieren.“ Für Bremens Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) ist das nicht mehr als „akademisches Geschwafel“.

Nun ist Professor Feld nicht irgendwer. Das aktuelle Ökonomen-Ranking im Handelsblatt listet den 40-Jährigen immerhin auf Platz 92 der „Top-100-Forscher in Deutschland“. Eine Stimme mit Gewicht also, zumindest in der Finanzwissenschaft. Obschon sie, wenigstens in diesem Falle, offensichtlich auch einem klaren Ziel dient: der Position der Geberländer vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe – im Bremer Kampf um mehr bundesstaatliche Hilfen.

Bis zum Jahre 2020 könnte Bremen 286 Millionen Euro weniger ausgeben als heute, schreibt Feld, wenn man jährlich 0,5 Prozent der „Leistungsausgaben“ je EinwohnerIn einspare – ein jährliches Wirtschaftswachstum von 2,5 Prozent sowie eine stabile Schuldenlast einmal vorausgesetzt. Gab Bremen 2004 pro Kopf 5.708 Euro aus, so wären es 2020 dann also nur noch 5.277 Euro. „Dieser Betrag liegt nur leicht über den Mehrausgaben, die Bremen im Vergleich zu Hamburg tätigt“, sagt Feld.

Und vor allem auch weit unter dem jährlichen Einsparpotenzial, das Feld für Bremen auf bis zu einer Milliarde Euro beziffert. Pro Jahr, wohlgemerkt. Für den bremischen Haushalt würde das eine Abschmelzung um ein gutes Viertel bedeuten. Allein die Zinszahlungen machen mehr als 600 Millionen Euro im Etat aus, dazu kommen über 500 Millionen Euro an Sozialausgaben. Entsprechend sarkastisch fiel gestern die Reaktion der grünen Finanzsenatorin Karoline Linnert aus: „Man muss offensichtlich schon sehr viel Qualm verbreiten, um Bremens finanzielle Ansprüche zu bestreiten.“

Um den Sparvorgaben aus dem Feld-Gutachten gerecht zu werden, rechnet Linnert im Gegenzug vor, müsste Bremen die Zahlungen an seine Universität und die Hochschulen „samt und sonders einstellen“, das Theater schließen, die Zuschüsse für Museen und alle andere Kultureinrichtungen streichen, dazu die Häfen „dichtmachen“ und einen generellen Einstellungsstopp verhängen. „Dann arbeiten hier eben nur noch Lehrer über 60“, sagt Linnert. „Das ist doch absurd.“ Felds Methoden seien „äußerst fragwürdig“, ja „hanebüchen“, sein Ansatz nicht mehr als das „Ergebnis einer Rosinenpickerei“, vor allem aber „frei von belastbaren finanzwissenschaftlichen Erkenntnissen“.

Grundlage des Feld’schen Zahlenwerks ist dabei ein sogenanntes „Best-Practice-Modell“, das Bremen jeweils mit dem Bundesland vergleicht, das in der betreffenden Ausgabenkategorie am besten abschneidet. Das Ergebnis: Kein Stadtstaat, kein Bundesland gab von 2000 bis 2004 so wenig Geld für seine Finanzverwaltung aus wie Bremen (85 Euro je EinwohnerIn). Auch in der Kategorie Ernährung, Land- und Forstwirtschaft erscheint Bremen mit vier Euro pro Nase bundesweit vorbildlich. Die politische Führung hingegen ist mit je 390 Euro deutlich kostspieliger als etwa jene in Berlin, und die soziale Sicherung ist mit je 1.359 Euro in Bremen zweieinhalbmal so aufwändig wie die in Baden-Württemberg. Und so weiter. „Nach dieser Methode müsste Bayern seine Landwirtschaftsausgaben an das bremische Niveau angleichen“, lästert Linnert.

Die Finanzsenatorin präsentiert statt dessen ein eigenes Zahlenmodell: Zwar sei die Finanzkraft je EinwohnerIn mit 2.905 Euro in keinem Flächenland so hoch wie in Bremen. Nur Hamburg und Berlin können demzufolge noch mehr Geld für ihre BürgerInnen ausgeben. Doch wenn man nur die Sozialausgaben sowie die Zins- und Pensionslasten abziehe, dann rutsche Bremen im Ländervergleich schon auf Platz 15 ab. Und würden dann noch Kindergärten, Schulen und Hochschulen berücksichtigt, blieben am Ende nur noch 651 Euro pro Kopf – gut die Hälfte des Länderdurchschnitts. Am Ende der Zahlendebatte bleibt für Karoline Linnert vor allem eine Erkenntnis: „Die Finanzwissenschaft koppelt sich von der politischen Wirklichkeit ab.“