Der Vorzeigeproletarier

Seine Mutter tötete sich kurz nach seiner Geburt, sein Vater schlug ihn. Hans-Joachim Klein war in der RAF der Unterprivilegierte zwischen Bürgerkindern. Einen Dokumentarfilm über Kleins Leben zeigt das Babylon Mitte

Es gibt unterschiedliche Weisen, sich filmisch mit dem „bewaffneten Kampf“ der 70er Jahre zu beschäftigen. In den 80er Jahren hatte es eher einfühlsame Spielfilme („Stammheim“; „Die bleierne Zeit“) über die Haftbedingungen der RAFler gegeben. Vor sechs Jahren dann erschienen Gerd Conrads Film „Starbuck“ (über Holger Meins) und Andres Veiels „Black Box BRD“, die beide einen autobiografischen Zugang zum Thema hatten: Andres Veiel hatte als junger Mann Prozesse in Stammheim besucht; Gerd Conrad war in seiner Jugend mit Holger Meins befreundet gewesen. Die persönliche Beziehung der Regisseure zu ihrem Thema hatte diesen Filmen Eindringlichkeit verliehen.

Diese Eindringlichkeit, das spürbare persönliche Interesse, geht dem 2005 gedrehten Dokumentarfilm des Holländers Alexander Oey über Hans-Joachim Klein etwas ab. Was dazu führt, dass er versucht, Klein an den unterschiedlichen Stationen seines Lebens, konfrontiert etwa mit ehemaligen Weggenossen wie Daniel Cohn-Bendit oder auch dem Richter, der ihn Ende der 90er Jahre zu neun Jahren Haft verurteilte (von denen er sechs Jahre absitzen musste), alles erzählen zu lassen: Von der kaputten Kindheit im zerstörten Frankfurt; von der Mutter, die im KZ Ravensbrück eingesperrt gewesen war und sich kurz nach seiner Geburt das Leben nahm; dem Vater, der ihn immer geschlagen hatte; der linken studentischen Szene in Frankfurt, die ihn als Vorzeigeproletarier adoptierte und die für den Autoschlosser zur Ersatzfamilie wurde. Er erzählt auch von der Frankfurter „Putztruppe“ (mit Joschka Fischer und Matthias Beltz), dem Job als Leibwächter und Fahrer Sartres bei dessen Stammheim-Besuch, über die Feierabendterroristen der „RZ“ (Revolutionären Zellen) und den Anschlag auf die Opec-Hauptgeschäftsstelle in Wien, bei dem drei Menschen ermordet wurden. Dann folgt der Ausstieg und ein Brief an den Spiegel, dem er seinen Revolver schickte und geplante, antijüdische Anschläge verriet. Schließlich das 1979 erschienene Buch „Rückkehr in die Menschlichkeit“. Nach 23 Jahren unter falschem Namen in Frankreich sechs Jahre im Knast, dann zurück nach Frankreich.

Dies alles erzählt in seinen Worten an unterschiedlichen Orten, bei unterschiedlichen Tätigkeiten (Autofahren, Gartenarbeit, in der Schlussszene Baden im Fluss). Manches ist berührend – wenn man etwa den Eindruck gewinnt, dass seine bürgerlichen, studentischen Freunde ihn in sein Schicksal laufen ließen. Ein Problem mag sein, dass es auch andere Varianten seiner Geschichte gibt. Vor allem aber leidet Oyes viel zu kurze Dokumentation an Wortlastigkeit, daran, dass Kleins Geschichte zu komplex ist, als dass sie sich in 90 Minuten befriedigend erzählen ließe. Anders gesagt: Auf zwei taz-Seiten lässt sich viel mehr erzählen als in einem wortlastigen Film durchschnittlicher Länge.

DETLEF KUHLBRODT

„Ein deutscher Terrorist – Hans-Joachim Klein“, Babylon Mitte, Rosa-Luxemburg-Str. 30, heute 21.15 Uhr