die taz vor 12 jahren über joschka fischers kursschwenk in der pazifismusdebatte
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Daß gerade die Grünen sich mit dem Krieg auf dem Balkan schwer tun, ehrt sie. Sie sind dem emanzipatorischen Prinzip der Gewaltfreiheit verpflichtet und haben sich gleichzeitig schon immer radikaler als alle anderen Parteien für den Schutz der Menschenrechte ausgesprochen. Und so kommen sie zwangsläufig in die Bredouille, wenn die beiden Grundsätze in eklatanten Widerspruch geraten, wenn Menschen zu Hunderttausenden in die Flucht getrieben oder ermordet werden und so die Strategie der Gewaltfreiheit auf ihre Schranken stößt. Es ist noch nicht lange her, da war Joschka Fischer der Zusammenhalt der Partei wichtiger als eine klare Aussage zum Drama auf dem Balkan. Auf jenem Sonderparteitag 1993 sprach sich eine deutliche Mehrheit gegen eine militärische Intervention in Bosnien aus. Doch schon die mörderische Dynamik auf dem Balkan sorgte dafür, daß die unterlegene Minderheit parteiintern an Gewicht gewann. Nun hat Joschka Fischer Pflöcke eingeschlagen. In seiner nüchternen Analyse des Krieges auf dem Balkan, der in allen Grundzügen zuzustimmen ist, hat er das Dilemma seiner Partei mit einem Satz auf den Punkt gebracht: „Leben und Freiheit stehen gegen den Grundsatz der Gewaltfreiheit.“ Und er hat sich entschieden: für den militärischen Schutz der UN-Schutzzonen. In der zur Zeit wichtigsten außenpolitischen Frage wird er damit die parteiinterne Debatte bestimmen. Während die SPD ein groteskes Theater um die Parteiführung aufführt, ist der faktische Parteichef der Grünen dabei, seine Position als wahrer Oppositionsführer auszubauen.

Thomas Schmid, taz, 2. 8. 1995