Daheim Philosoph, hier Holzfäller

Die Universität Oldenburg hebt brachliegende Potentiale der Einwanderer-Elite: Ein europaweit einzigartiger Studiengang verschafft hochqualifizierten Migranten einen in Deutschland anerkannten Abschluss

Universitäten in Österreich, Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden interessieren sich bereits für den Studiengang

Er jobbte als Holzfäller, Gerüstbauer, Gärtner und Pizzabäcker. Jahrelang. „Es war eine Zeit der Verzweiflung“, sagt Sadrija Musina. Musina hat in Serbien Philosophie und Politologe studiert, dann als Lehrer gearbeitet. Als er wegen des Bürgerkriegs nach Deutschland fliehen musste, war Schluss mit Karriere. Der Akademiker musste jede Arbeit annehmen, denn sein Hochschulabschluss wird hier nicht akzeptiert. Ohne Titel gilt er in Deutschland als Ungelernter – und wird dementsprechend vermittelt. Im Wintersemester 2006/07 schrieb sich der Serbe an der Universität Oldenburg für den Studiengang „Interkulturelle Bildung und Beratung“ ein und büffelt nun für seinen Bachelor, einen europaweit anerkannten akademischen Titel.

Rolf Meinhardt schätzt, dass es rund 500.000 hochqualifizierte Flüchtlinge und Aussiedler in Deutschland gibt, deren Potentiale hier „ignoriert“ werden. Der Professor vom Oldenburger Interdisziplinären Zentrum für Bildung und Kommunikation in Migrationsprozessen tut etwas gegen den „Brain Waste“ – mit seinem europaweit einzigartigen Studiengang. Zugelassen sind nur Migranten mit Uni-Erfahrung und Diplomen. Wenn die 24 Erststudenten in dem zweijährigen Studium ihre Scheine in „Managing Diversity in der Einwanderungsgesellschaft“, „Deutsch als Zweitsprache und interkulturelle Kommunikation“ oder „Politisches und administratives System und Bildungssystem der Bundesrepublik Deutschland“ absolviert haben, sind sie wieder fit für Jobs im Sozial- und Lehrbereich, die ihnen ohne Abschluss verwehrt waren.

Nach einer Umfrage unter 260 hochqualifizierten Spätaussiedlern und anerkannten Flüchtlingen hat Meinhardt „etwas Paradoxes“ festgestellt: Zwei Drittel waren ohne Arbeit, elf Prozent hatten nur einen Teilzeitjob weit unter ihrer Qualifikation. 38 Prozent gaben an, ihre Abschlüsse seien hier nicht anerkannt worden. „Da war ein promovierter Rechtsanwalt aus Teheran dabei, der in Kanada studiert hatte und hier als Lagerarbeiter jobben musste“, erzählt er. Anlass, den Studiengang aufzubauen, für den sich bereits Universitäten in Österreich, Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden interessieren.

Die Wirtschaft schreit nach Fachkräften, in einigen Bereichen mangelt es an Lehrern. Meinhardt will die ungenutzten Möglichkeiten der Einwanderer-Elite heben: „Wir haben Schulklassen, in denen die Kinder 13 oder 14 Sprachen sprechen. Warum sollen dort nicht Lehrer mit Migrationshintergrund arbeiten?“

Bislang gibt es keine Studienabbrecher, die Motivation der durchschnittlich etwa 40 Jahre alten Studenten aus aller Welt ist hoch. „Ich arbeite jetzt 30 Jahre an der Universität“, sagt Meinhardt. „Aber ich habe noch nie Studenten gehabt, die so interessiert waren, einem solche Löcher in den Bauch gefragt haben.“ Für Meinhardt sind nicht nur die deutschen Hürden für die Anerkennung von Diplomen zu hoch. Es geht ihm auch um die Vermittlung von handfestem, neuem interkulturellen Wissen. Beispiel deutsche Pädagogik. „Viele kommen zunächst nicht mit dem laissez-faire-Stil hier zurecht“, sagt Meinhardt.

Für Nahid Aslany hat sich das Studium schon bezahlt gemacht. Im Iran hatte sie 16 Jahre als Schulpädagogin gearbeitet, in Deutschland fand die Mutter von drei Kindern, die neben Deutsch Englisch, Arabisch, Persisch und Türkisch spricht, keine Stelle. Obwohl sie noch gar keinen Abschluss hat, bekam die anerkannte Asylbewerberin bereits Jobangebote in Gesamtschulen und bei einem Migrationsprojekt der Caritas. „Das Gefühl, wieder anerkannt zu sein, ist toll“, sagt Aslany.

Von den Grünen bis zur CDU: Alle loben das bislang aus EU-Mitteln finanzierte Projekt. „Wir prüfen eine Ausweitung auf Informatik, Ingenieurs- und Naturwissenschaften“, sagt Niedersachsens Wissenschaftsminister Lutz Stratmann (CDU) . Denn: „Ohne Zuwanderer wird es künftig in Deutschland nicht gehen.“ KAI SCHÖNEBERG