Blind Dating (6)

Begegnung ohne Dana F.

Sie war bereits eine Viertelstunde zu spät. Ich bestellte einen Kaffee und raschelte mit der Zeitung. Es gibt zwei Dimensionen des Wartens: das gute und das schlechte Warten. Das gute Warten ist, wenn man in Vorfreude und Gelassenheit, mit der Sicherheit, dass was kommt, sich Zeitüberbrückungsnotizen und Lektüre widmen kann. Oder man sitzt da, blinzelt in die Sonne und ist fast glücklich. Das schlechte Warten passiert, wenn man angespannt ist und aufgebracht, weil man nicht weiß, was kommt.

Überall wartet man. In der Post, vor dem Pfandflaschenautomaten im Supermarkt, an Kassen, auf Spielplätzen und an Bushaltestellen. Man wartet auf Taxen, auf Gelegenheiten, auf große Momente und kleine Gefühle. Man wartet vor Kinos und in Cafés. Seitdem sich das Mobiltelefon breit gemacht hat, ist Wartenlassen kein sozial verpönter Akt mehr. Es reicht, unmittelbar vor dem Termin eine kurz angebundene SMS zu schreiben. „Komme 10 Min. später, sorry.“ Dass zehn Minuten schnell zu einer halben Stunde werden, gehört zu den ungeschriebenen Gesetzen der Großstadt. Es ist nicht so, dass ich selbst ein Ausbund an Pünktlichkeit wäre. Nur hier wartete ich etwas lang, und zwar ohne Entschuldigungs-SMS.

Dies war der Tiefpunkt. Der Sinn der ganzen Anstrengung verschwand mit jedem Schlückchen Kaffee mehr. Dating, dachte ich, ist nichts weiter als serielle Enttäuschung. Enttäuschung über die Banalität, die hinter dem Unbekannten, der Unbekannten steckt. Ein weiteres Gesicht, aus dem Wörter sprießen, eine weitere Differenz zwischen Idealvorstellung und grober Wirklichkeit. Nur dass es diesmal nicht einmal zu einem Abgleich kam. Nach einer halben Stunde stand ich auf und ging. RENÉ HAMANN