OFF-KINO

Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet

LARS PENNING

Die amerikanischen Musicalfilme der 1930er Jahre besaßen vollkommen unterschiedliche Konzepte: Bei Warner Bros. pflegte man das Genre des Backstage-Musicals, in dem sich alles um die verschiedenen Schwierigkeiten bei der Produktion einer Broadway-Show drehte. Die Proben und Aufführungen der Bühnennummern motivieren in einem Film wie „42nd Street“ (Regie: Lloyd Bacon/Busby Berkeley, 1933) dann die atemberaubenden Choreographien des ehemaligen Armee-Ausbilders Busby Berkeley, die den Bühnenrahmen zugunsten eines komplett filmischen Raumes sprengen. Denn Berkeley befreit die Kamera aus der Guckkastenperspektive, lässt sie auf dem Boden zwischen den Beinen der Chorus-Girls herumkriechen oder sich zum senkrechten Blick auf die in kaleidoskopartigen Mustern arrangierten Girls an die Decke aufschwingen, dem so genannten „Berkeley Top-shot“. Dazwischen: Dick Powell und die wunderbare Ruby Keeler in einer amüsanten Liebesgeschichte (OF, 22. 12., Arsenal 1).

 Vom „Top-shot“ zum „Top Hat“: Den Zylinder hat natürlich Fred Astaire auf, dessen Filme mit seiner Tanzpartnerin Ginger Rogers eine ganz andere Philosophie aufweisen. In den Musicals des Studios RKO sind die Musiknummern stets in die Handlung integriert, an die Stelle von Berkeleys technischen Kabinettstücken tritt hier der Tanz als probates Mittel, die zunächst widerspenstige Partnerin durch die perfekte Harmonie der Tanzschritte zu verführen. Für die Kamera bedeutet dies, den brillanten Darbietungen des berühmten Tanzpaares möglichst unauffällig zu folgen. „Top Hat“ (Regie: Mark Sandrich, 1935) gehört mit den artifiziellen Venedig-Dekorationen des RKO-Art-Directors Van Nest Polglase, der Musik von Irving Berlin und dem witzigen Edward Everett Horton an Astaires Seite zu den schönsten Filmen von Astaire/Rogers (OmU, 23.12., Arsenal 1).

 Von Irving Berlin zu den Einstürzenden Neubauten: Vielleicht haben auch ein paar Leute getanzt, als sie Blixa Bargelds Truppe im Dezember 1989 im Saal des VEB Elektrokohle in Lichtenberg erstmals in Ostberlin spielen sahen. In jedem Fall erinnern sich die damaligen Konzertbesucher für Uli M. Schüppels Dokumentation „Elektrokohle (Von Wegen)“ noch einmal an das aufregende Event und reflektieren, während sie ihren Weg zum Veranstaltungsort noch einmal nachvollziehen, ihre seinerzeitige Erwartungshaltung den Neubauten gegenüber. Das Freie und Destruktive in deren Musik sei das total Aufregende gewesen in einem Land wie der DDR, die zu diesem Zeitpunkt ja noch nicht überwunden hatte, dass der Staat das Leben seiner Bürger bis in kleinste Details hinein zu regeln versuchte. Uli M. Schueppel wird bei der Vorstellung anwesend sein (20. 12., Lichtblick).