In der Adventszeit singen die Dänen Lieder aus der Besatzungszeit, die die Deutschen angeblich nicht verstehen konnten
: Alle Schnapsgläser fliegen hoch

Foto: privat

REBECCA CLARE SANGER

Ein paar Mal habe ich in der letzten Zeit Jagdgesellschaften auf meinen Fahrradausflügen getroffen. Sie schlendern über die Felder, fahren dick in Jeeps über die dünnen Straßen oder stehen breitbeinig an Wasserlöchern. Ihre Spaniels wedeln eifrig, sie sehen nicht so aus, als wüssten sie, was sie tun sollen, aber sie freuen sich, mal an der Seite ihres dicken Herrchens in Tarnanzug in die Natur zu kommen. Die Felder geben nun, im Dezember, endgültig nix mehr her außer Gras und Fasanen – die im Übrigen deshalb auch so gut zu sehen sind.

„Jeepjeepjeepjeepjeepjeep“ macht es, und dann gibt’s einen Knall. Mein Hund nimmt die Leine in den Mund und führt die Kinder und mich auf dem direkten Weg nach Hause, wir wollen ja schließlich nicht aus Versehen auf einer der Weihnachtstafeln landen, recht hat mein Hund.

Von denen gibt es in letzter Zeit auch ganz viele: Julefrokost, so heißen hier die Weihnachtsfeiern in der Adventszeit, alle Schnapsgläser fliegen hoch! Und nach jedem Gang wird gesungen. Das Lokalblatt sieht sich zu dieser Zeit genötigt, einen beziehungsberatenden Artikel herauszubringen, gegen Eifersucht und Seitensprünge beim Julefrokost, mein Mann liest sich die fünf angebotenen Ratschläge gar nicht erst durch, bei meinem Julefrokost von der Lesegruppe gibt’s schließlich nur vier Gänge und gerade mal zwei Männer.

„Skål!“ – „Skål!“, und dann wird gesungen, bei jedem Gang, bei jedem Schluck: marinierter Hering mit Ei, Klopse mit Rote-Beete-Salat, Käse mit selbst gebackenem Brot, Eingemachtes, Butter, Kekse, Obst, Kaffee und dann noch mehr Schnaps und dann muss ich schon gehen, denn es wird dunkel, um drei ist der Tag jetzt fast vorbei.

Dabei wird es gerade spannend, man hat begonnen, doppeldeutige dänische Lieder aus der Besatzungszeit zu singen, angeblich konnten die Deutschen den wahren Sinn der Lieder damals nicht verstehen. „Uns sind die Hände gebunden, der Mund gestopft, so ist das nun leider mit der Liebe, heirate bloß nie!“, singen nun meine Buchklubmitglieder, während ich aufbreche. Vielleicht hatten die Deutschen aber auch einfach keine Lust.

In meinem Mund schmeckt es nach Hering und Koriander. Grün-grau liegen die Felder da, draußen, jenseits der Autofenster. Noch bis vor drei Wochen sind Erntewagen über die hügelige Landschaft gefahren, haben Igel, Hasen und Dachse aufgescheucht, wie es die Landstraßen vorwiesen, nun liegen da nur noch überfahrene Katzen. Und Fasane.

Blau-grau liegt das Meer da. Es ist jetzt so kalt, dass es mit seiner Gewalt jeden Jäger, jeden Sammler, jeden Bauern, jede Weihnachtsgesellschaft innerhalb kürzester Zeit erstarren lassen könnte. „Stein, Schere, Papier“? Das Wasser ist am stärksten. Es liegt ruhig an seinem Platz und kommt weder Feldern noch Fasanen zur Hilfe.

Rebecca Clare Sanger pendelt mit Mann und Kindern zwischen Hamburg und der dänischen Insel Møn; was sie dabei erlebt, steht alle zwei Wochen an dieser Stelle. Einen Sammelband mit ihren „Hamburger Szenen“ aus der taz.hamburg hat der Verlag Michason & May unter dem Titel „Hamburg Walking“ veröffentlicht.