Morde trotz laufender Ermittlungen

JUSTIZ Wegen schlampigen Behördenhandelns konnte der Krankenpfleger Niels H. vier Jahre weitermorden – bis 2009. Dabei saß er schon 2005 in Untersuchungshaft

Der unter hundertfachem Mordverdacht stehende Krankenpfleger Niels H. dürfte nicht nur in Oldenburg und Delmenhorst getötet haben. Obwohl bereits 2005 Ermittlungen wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung, begangen auf der Intensivstation des Klinikums Delmenhorst, gegen den 37-Jährigen liefen, konnte H. bis 2009 weiter in seinem Beruf arbeiten – und hatte so vier weitere Jahre Gelegenheit zu weiteren Morden. Dabei saß er von Juli bis September 2005 sogar schon im Gefängnis. Das Oberlandesgericht Oldenburg setzte den Vollzug der Untersuchungshaft nach einer Beschwerde des Beschuldigten aber aus.

Aktuell verbüßt Niels H. eine siebeneinhalbjährige Gefängnisstrafe. Verhängt wurde die nur wegen einer einzigen Tat – dabei halten Strafverfolger den Mann nach langem Zögern jetzt für einen Serientäter: Derzeit muss sich H. für drei weitere Morde und zwei Mordversuche vor Gericht verantworten. Allerdings besteht der Verdacht, der Pfleger könne allein bis 2005 etwa 200 Patienten mit tödlichen Spritzen umgebracht haben. Im Klinikum Delmenhorst soll er ihnen Überdosen des Herzmittels Gilurytmal, im Krankenhaus Oldenburg Kalium injiziert haben.

Jetzt ist eine Sonderkommission (Soko) der Polizeidirektion Oldenburg auf der Suche nach weiteren Arbeitsstätten des Mannes. „Wir klären akribisch auf, wann er wo gearbeitet, welche Patienten er betreut hat“, bestätigte Soko-Sprecher Stephan Klatte der taz. Aktuell werden Akten eines Altenheims in Wilhelmshaven gesichtet, wo der Pfleger 2008 tätig war. Da H. neben seinen Festanstellungen auch immer wieder ehrenamtlich etwa im Rettungsdienst ausgeholfen hat, könne es noch Monate dauern, bis vollständige Ermittlungsergebnisse vorlägen, so Klatte.

„Hätten die Strafverfolgungsbehörden 2005 seriös gearbeitet, müssten wir heute nicht mit weiteren Mordfällen rechnen“, sagt dagegen die Rechtsanwältin Gaby Lübben, die Angehörige von Verstorbenen vertritt. Neben einem zumindest vorläufigen Berufsverbot sei schon vor neun Jahren die Exhumierung von fast 200 potenziellen Mordopfern nötig gewesen – begonnen wird damit erst im kommenden Frühjahr. Einen „Ermittlungsboykott“ hat Lübben deshalb schon vor Monaten beklagt: Mittlerweile wird auch gegen zwei ehemalige Oberstaatsanwälte vorgegangen – wegen Strafvereitelung im Amt.   ANDREAS WYPUTTA