Das Plus der Arbeit

AUSSTELLUNG Im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe ist ab jetzt die Sammlung von Joëlle Chariau zu begutachten. Mit ihr beweist die Modeillustration ihr Potenzial

VON FRANK KEIL

Hier sitzt das Licht noch nicht ganz richtig, dort hängen zwei Zeichnungen noch zu eng nebeneinander. Doch Kurator Jürgen Döring vom Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe ist mehr als zufrieden: Was für eine schöne Ausstellung! Und was für eine Gelegenheit, sich mal mit dem Feld der Modeillustration zu beschäftigen! Denn zu sehen sind unter dem Label „Bilder der Mode. Meisterwerke aus 100 Jahren“ die aus mehr als 170 Zeichnungen bestehende Sammlung der in München lebenden Sammlerin Joëlle Chariau.

Zu betrachten sind dabei zunächst Werke von Georges Lepape, der von Art déco geprägt ab den 20ern für die amerikanische Vogue und für Vanity Fair arbeitete, der aber auch Plakate und auch Bühnenbilder entwarf. Abgelöst wurde er von Christian Bérard, der in den 30ern und 40ern ebenfalls als Bühnenbildner tätig war, aber vor allem half, die Mode Coco Chanels populär zu machen. Réne Gruau arbeitete sehr erfolgreich für Christian Dior, zeichnete lange für Marie Claire und Elle, stand dann aber recht ratlos vor den Umbrüchen durch die 68er-Bewegung und fand keinen Anschluss.

Ganz anders Antonio, dessen Anleihen an den damaligen Siegeszug der Pop-Art unübersehbar sind – bis hin zu Modeillustrationen, die wirken, als hätte hier Roy Lichtenstein den Stift geführt. Ein kräftiger Sprung dann – und die Zeichnungen des Schweizers Francois Berthoud sind zu betrachten, der sich verabschiedet hat von allzu konkreten Abbildungen von Models und ihren Posen, sondern sich an grafischen Mustern, sich an Ausschnittshaftem orientiert.

Von London nach Hamburg

Als Vertreter der jungen Generation treten der Schwede Mats Gustafson an (Jahrgang 1951) und die 1962 geborene Pariserin Aurore de La Morinerie – ihre Arbeiten sind sehr geprägt von langen Reisen nach Indien und China und Studien der Kalligraphie, so wie sie auch mit Vorliebe auf Reispapier zeichnet und sie so ihren Modebildnissen etwas verblüffend Mysteriöses und Offenes verleiht.

Jürgen Döring kennt die Sammlerin seit über 30 Jahren und als sie anfragte, ob das Museum nicht ihre Sammlung zeigen möge, die zuvor lediglich im Designmuseum in London ausgestellt war, musste er nicht lange überlegen: „Es geht um Angewandtes, um Design und Illustration, das ist unser angestammtes Gebiet.“ Stolz schwingt in seiner Stimme, wenn er sagt: „Es gibt noch kleinere Häuser in Berlin und München, die immer mal Modeillustrationen zeigen, aber man hat dort nicht so schöne, große Räume, um eine solche Sammlung wie die von Chariau angemessen zeigen zu können.“ Und so ist die Präsentation von Joëlle Chariaus Sammlung in Hamburg denn auch die Deutschlandpremiere.

Doch dabei geht es nicht nur um die reine Präsentation für den Modefreund, der sich an überraschenden Farbkombinationen oder kühnen Kreationen ergötzen kann. Es geht um eine neue Positionsbestimmung der Modeillustration selbst und so im zweiten Schritt auch um eine anerkennende Würdigung dieser Kunst. Und Döring sagt: „Ich habe erst jetzt gelernt, dass die Modeillustration eine ganz eigene Geschichte vorweisen kann. Es gibt zwar Modezeichnungen seit dem Mittelalter – aber das sind konkrete Abbildungen; das sind Entwurfszeichnungen oder es sind Abbildungen für Verkaufskataloge.“

Was nun aber anhand der Chariauschen Sammlung vermittelt werden könnte, ist die Modeillustration als eine Art eigenständiges und eigensinniges Kunstgenre kennenzulernen, das vor allem die Zeitumwälzungen vermittle und widerspiegele – und den entsprechenden Wandel des Lebens- und Zeitgefühls, der in der jeweiligen Mode ihren dann sehr sichtbaren weil tragenden Ausdruck finde.

Zufällig gesammelt

Dabei war es zunächst der reine Zufall, der Joëlle Chariau zur Sammlerin von Modeillustrationen küren sollte. „Ich führte in München eine Galerie für angewandte, grafische Kunst, als ich auf eine Zeichnung von Gruau stieß, und ich dachte: ‚Das ist toll, das sollten wir machen!‘“, erzählt sie. Sie begibt sich auf die Suche nach ihm, was nicht ganz einfach war, denn er war weitgehend in Vergessenheit geraten.

Doch nach einem halben Jahr hatte sie ihn ausfindig gemacht, besuchte ihn dort und erzählte ihm von ihren Plänen seine Zeichnungen zu sammeln und perspektivisch auszustellen: „Aber er winkte nur ab und meinte, dass das niemanden interessieren würde.“ Doch sie ließ sich nicht beirren, kaufte nach seinem Tod 2004 seinen Nachlass auf, so wie sie auch die Nachlässe von Christian Bérard und von Antonio erwarb, der vor allem für Karl Lagerfeld und Yves Saint Laurent gezeichnet hatte. Und sie sagt: „Dadurch, dass sich niemand für diese Illustrationen interessierte, kam ich an die besten Künstler heran und wen ich von den Jüngeren entdeckte, das sind die Stars von heute.“

Für Chariau ist das alles weit mehr als nur das reine Sammeln handwerklich erst perfekter und dann künstlerisch freier werdender Illustrationen, und sie beleuchtet das angespannte Verhältnis zwischen freier und angewandter Kunst wie folgt: „Zeichner wie Gruau oder auch vor ihm Bérard haben sich nicht als Künstler gesehen, sondern als Auftragskünstler und das ist gut so. Denn ich denke sehr oft, dass seit den 50er-Jahren das Hauptthema der Kunst das Ego des Künstlers ist. Das hat uns manche tolle Bilder beschert, aber auch viele nicht sehr gute Werke. In dem was ich zeige, hat nun das Ego des Künstlers keinen Platz – zugleich muss er etwas schaffen, was über den Auftrag hinausgeht. Und nur von diesem Plus lebt die Arbeit. Der Künstler muss mehr wollen – und das sichert es auch, dass die Zeichnung, die er erst einmal im Auftrag eines Modemagazins schafft, auch dann noch lebendig bleibt, wenn die Zeit vorübergegangen ist.“

Weg der Befreiung

Und um diese These zu stützen, führt sie durch ihre gekonnt gehängte Sammlung und verweist auf das Bild der Frau, wie es sich wandelt: weg von der Frauendarstellung, wo diese nur adrett die Beine übereinanderschlägt oder in den Spiegel schaut, geht es hin zum Bildnis der Frau, wie sie entschlossenen Schrittes sich in Pose setzt: „Was wir sehen können, ist der Weg der Befreiung der Frau. Waren die 50er-Jahre eher restaurativ, wird spätestens bei Antonio in den 60ern klar, dass für die Frau eine neue Zeit angebrochen ist und sie selbstbewusst durch die Welt geht. Die Inspiration für ihn als Künstler kam von der Straße, wo er seine Modelle fand – und nicht mehr aus den Salons der Oberschicht.“

bis 3. Mai 2015