Ein Kunde ist kein Kritiker

■ 21, wurde in Kiew geboren und wuchs in Berlin auf. 2013 nahm sie am Klagenfurter Literaturkurs teil. Ihre Texte wurden in verschiedenen Anthologien und Zeitschriften veröffentlicht. Im Verlag Das neue Berlin erschien 2011 ihre Übersetzung der „Kriegstagebücher“ des russischen Fotografen Jewgeni Chaldej. Sie lebt in Leipzig und studiert am Deutschen Literaturinstitut.

VON MARGARITA IOV

Eine der Kernideen hinter Amazon ist, dass Kunden sich gegenseitig beraten, von ihren Kauferlebnissen berichten können: Verbraucherschutz von Verbrauchern für Verbraucher – in Form von Sternchenvergabe und Rezensionen. Bemerkenswert finde ich, dass, ganz egal um welches Produkt es sich handelt, beispielsweise ein Buch, immer die gleiche Bandbreite an Rezensionen vertreten scheint. Ob Emily Brontës „Wuthering Heights“ oder Joanne K. Rowlings „Harry Potter“. Das Spektrum reicht von „Wirre Geschichte, ich weiß nicht, wie man so schreiben kann!“ oder „Das beste Buch, das ich je gelesen habe!“ bis „Habe das Buch zwar nicht gelesen, finde das Cover aber wunderschön“.

Sagt das wirklich etwas über die Bücher aus oder nicht doch eher über die Rezensenten?

Das Problem ist, dass es hier gar keine Differenzierung gibt und häufig die unterschiedlichen Ebenen durcheinandergeraten. Ob das Buch schlecht geschrieben ist oder ob der Umschlag beschädigt ist, macht für die Bewertung bei Amazon keinen Unterschied.

Allein auf Geltungsdrang kann man die rege Beteiligung daran nicht zurückführen. Immerhin wird man nach jedem Kauf von Amazon sogar ausdrücklich dazu aufgefordert, eine Bewertung abzugeben. Das ist etwas, das in den vergangenen Jahren schleichend zur Selbstverständlichkeit geworden ist. Durch Facebook, Bewertungsportale wie Yelp und eben auch durch Amazon. Man wird dazu erzogen, in dem ständigen Bewusstsein zu leben, dass man Kunde ist. Und ist der nicht immer König?

Das nährt eine ständige Unzufriedenheit. Man könnte ja Gefahr laufen, ein nicht optimales Erlebnis zu haben. Nicht den besten Kaffee zu trinken, den man für sein Geld haben könnte. Nicht im besten Restaurant seiner Preisklasse zu essen. Nicht das „beste“ Buch zu lesen. Wo immer man ist, was auch immer man tut, im Hinterkopf blinkt immer die Frage: Könnte das hier nicht noch besser sein?

Was im Gegenzug verloren geht, ist jedes Gefühl, jede Wertschätzung für Kompetenz und Expertise. Vielleicht haben wir das vergessen, aber selbstverständlich ist für einen Schriftsteller die Meinung eines Literaturkritikers wichtiger als die des nächstbesten anonymen Users. Und auch wenn Amazon diesen Gedanken nahelegt, ist der Schriftsteller kein Dienstleister für die Leserschaft und es gehört nicht zu seinen Aufgaben, irgendwen zufriedenzustellen.

Natürlich darf man gerne glauben, die eigene Meinung sei mindestens genauso wertvoll, weil man doch gebeten wurde, sich für eine Sternchenanzahl zu entscheiden, aber im Grunde unseres Herzens wissen wir doch alle, dass dem nicht so ist, nie so war und nie so sein wird. Das heißt im Umkehrschluss nicht, dass die Literaturkritik immer richtig liegt, aber zumindest irrt sie in der Regel auf einem ganz anderen Niveau.

Wozu also das Ganze? Damit der Kunde sich wertgeschätzt fühlt und eine Beziehung zu Amazon aufbaut? Damit man mehr Zeit auf der Website verbringt und so länger den Werbeanzeigen ausgesetzt ist? Die Kauflust steigt?

Das größte Problem ist, dass die Bewertungen verrechnet werden. Damit erhält jedes Produkt eine Note. Und wird von Amazon auf einen Rang verwiesen. Und das sollten wir uns als Schriftstellerinnen alle fragen, ob wir eine Note erhalten wollen, von einer zufälligen Ansammlung anonymer Internetuser.