„Raus aus den Parteikellern“

Er ist der jüngste männliche Sozialdemokrat unter den 42 Teilnehmern der SPD-Führungsakademie für künftige Parteibosse: Juso-Bundesvize Lars Klingbeil, 29, will Politik aus dem Raumschiff holen

LARS KLINGBEIL, 29, rückte 2005 als damals jüngster SPD-Abgeordneter für den zurückgetretenen Jann-Peter Janssen in den Bundestag nach. Nach der Wahl 2005 reichte es nicht mehr für ein Mandat. Der stellvertretende Juso-Bundesvorsitzende ist seit Februar 2006 Vorsitzender des SPD-Unterbezirks Soltau-Fallingbostel und Assistent von SPD-Landeschef Garrelt Duin.

INTERVIEW KAI SCHÖNEBERG

taz: Herr Klingbeil, hat die SPD ein Nachwuchsproblem?

Lars Klingbeil: Ja. Wir haben viel zu wenig Mitglieder und Wähler zwischen 30 und 45 Jahren. Die sind jahrelang lieber zu den Grünen gegangen. Mittlerweile gibt es wieder Zulauf von Leuten unter 20. Aber das reicht nicht.

Sie sind Ex-Abgeordneter, Jahrgang 78 und soeben als jüngster Mann in die „Akademie der sozialen Demokratie“ aufgenommen worden, was einigen MdBs ihrer Partei nicht gelang. Wollen Sie 2020 Kanzlerkandidat werden?

Wenn ich bis dahin den Zaun am Kanzleramt finde, an dem ich rütteln kann, überlege ich mir das vielleicht sogar noch. Im Ernst: Ich habe gelernt, mich auf die Sachen zu konzentrieren, die ich gerade mache. Langfristig kann man in dem Metier schlecht planen. Eine Wahl, ein Parteitag kann sehr schnell jede Polit-Karriere beenden. Also: Die Teilnahme an dem Seminar ist noch lange kein Gratisticket für ein Bundestagsmandat oder sogar mehr.

Was soll die SPD-Kaderschmiede bezwecken?

Kaderschmiede ist der falsche Begriff. Es geht um Qualifizierung für SPD-Spitzenkräfte der Zukunft. In Frankreich oder Schweden bereiten Parteien ihre Führungsleute seit langem auf künftige Aufgaben vor. Die Notwendigkeit dafür liegt auf der Hand: Miserable Wahlbeteiligungen, Mitgliederschwund, Politikverdruss – da warten jede Menge neue Anforderungen auf die neuen Parteichefs.

Welche?

Kommunikation ist das Wichtigste. Man muss schneller reagieren – und rhetorisch geschickt argumentieren: keine Floskeln, kein Parteisprech. Und: Wie schaffe ich es, nicht nur im Parteisaft zu kochen, sondern auch parteifremde Vereine oder Organisationen für mich zu gewinnen. Warum also nicht einfach mal zu einem SPD-Neujahrsempfang Industrie- und Handelskammer, Schülervertretung und Bundeswehr einladen?

Eines der Seminarmodule haben Sie bereits absolviert. Was ist da passiert?

Es ging um Authentizität in der Politik. Darum, was wir als Führungskräfte in der Politik anders machen würden.

Was wäre das?

Viele Abgeordnete leben in Berlin wie in einer Käseglocke, einige wohnen nicht mal in ihrem Wahlkreis. Das sind Polit-Junkies, die im Raumschiff leben. Was die Leute draußen bewegt, bekommen die gar nicht mit.

Haben Sie als Nachwuchs-Genosse schon Ideen, was sich dagegen tun lässt?

Alle 80 Bewerber mussten eine Mappe einreichen, in der sie darzulegen hatten, warum sie in die „Akademie der sozialen Demokratie“ mitmachen wollten. Dann siebte eine Jury aus dem 33-jährigen SPD-Generalsekretär Hubertus Heil, Schatzmeisterin Ute Wettig-Danielmeier und der Vize-Vorsitzenden Ute Vogt 42 Mitglieder für die künftige Parteielite aus, darunter Bundes- und Landtagsabgeordnete, Kommunalpolitiker, Richter und Gewerkschafter. Sie alle sollen in den kommenden zwei Jahren durch das Absolvieren von insgesamt sechs Fortbildungs-„Modulen“ zu Elite-Politikern geformt werden. Themen dieser Wochenendseminare sind etwa „Ergebnisbezogenes Handeln“, „Führungsqualität: Kooperation und Konsequenz“ oder auch die „aktive Bürgergesellschaft“. Aus dem Norden sind unter anderem dabei: Lars Klingbeil, 29, Juso-Vize aus Soltau-Fallingbostel; Bettina Hagedorn, 51, Bundestagsabgeordnete aus Ostholstein; Andreas Breitner, 40, Bürgermeister in Rendsburg; Sönke Rix, 31, Bundestagsabgeordneter aus Eckernförde; Marco Brunotte, 30, Landtagskandidat aus Langenhagen.  KSC

Ich bin Juso-Bundesvize und einer von 52 Unterbezirksvorsitzenden in Niedersachsen. Also, mit Verlaub: Ich bin schon Führungskraft. Und: Wir in der SPD Soltau-Fallingbostel haben schon ein paar Vorschläge. Seit Anfang 2006 haben wir über 40 neue Mitglieder unter 30 Jahren aufgenommen, bei gut 1.100 Parteimitgliedern ein guter Schnitt.

Wirklich?

Ein guter Schnitt. Wir haben dafür per Zeitungsannonce Schnuppermitgliedschaften für unter 25-Jährige in der SPD angeboten, unsere drei Landtagskandidaten öffentlich vorgestellt und wählen lassen, mit Sigmar Gabriel statt in einer öden Halle mit 250 Leuten mitten im Vogelpark Walsrode diskutiert und die Regionalkonferenz mit Wolfgang Jüttner im „Snow Dome“ in Bispingen veranstaltet. Außerdem wollen wir in diesem Sommer einen Open-Air-Parteitag auf einem Marktplatz abhalten. Also: Wir schmoren nicht in irgendwelchen Parteikellern vor uns hin, sondern gehen wirklich da hin, wo die Leute sind.

Zur Zeit arbeiten Sie mit im Wahlkampfteam des niedersächsischen SPD-Spitzenkandidaten Wolfgang Jüttner. Die Umfragewerte sind mau. Was machen Sie falsch?

Wenig. Im Gegenteil: Ich finde, es läuft richtig rund. Wir hatten einen äußerst gelungenen Nominierungsparteitag für Jüttner. Außerdem nähern wir uns der CDU in den Umfragen an. Es gibt immer mehr Leute, die sich fragen, ob Christian Wulff nach dem 27. Januar 2008 Ministerpräsident bleibt. Das war noch vor einem halben Jahr anders.