Spiel mit dem Zusammenhang

„Begeben Sie sich“ weist die Stimme über Kopfhörer in der Akademie der Künste an, und das Labyrinth für Tänzer und Zuschauer ist eröffnet. Das Tanzhörspiel von Stiefermann und Wittekindt erfordert elegant die Fantasie der Zuschauer

Wie erzählt man von einer Geschichte, die keinen Anfang und kein Ende haben will? Wie erzählt man von einem Tanzstück, das mobile Wände zwischen die Zuschauer und die Tänzer schiebt? Wie von einem Mann auf der Leinwand, der unentwegt dramatische Situationen schildert und dabei immer außerhalb des Geschehens zu bleiben scheint? Und wie passt das alles zusammen?

Es passt sehr gut zusammen in dem Stück „Begeben Sie sich“, das man wahlweise eine theatrale Installation oder ein Tanzhörspiel nennen kann. Was man über den Kopfhörer hört, auf den Leinwänden sieht und in den schmalen Raumausschnitten, die zwischen den verschiebbaren Wandelementen sichtbar werden, beobachten kann, passt zunächst einmal durch den Modus der Dekomposition zusammen, der ständigen Aufhebung der Kausalität. Viel geschieht, aber wie die Dinge zusammenhängen, wird niemals richtig klar. Hingegen glaubt man bald, in den Tänzern vor Ort Figuren aus den Bildern des Erzählers auf der Leinwand wiederzufinden: die geheimnisvolle Frau im roten Kleid, die eine unheilvolle Beziehung zum Mond hat; der Mann mit der Koffer, wahrscheinlich ein Immobilienhändler, der irgendwann zum Toten von Marrakesch wird; die Frau, die die Kinder ihrer Schwester sucht.

„Begeben Sie sich“ ist eine Gemeinschaftsarbeit des Choreografen Martin Stiefermann und des Autors Matthias Wittekindt, die von sieben Tänzern im Tiefgeschoss der Akademie der Künste am Pariser Platz aufgeführt wird. Schon der Text von Wittekindt spielt mit der Disponibilität der dramatischen Elemente. Er beschreibt einen Ort, fokussiert eine Figur, sieht ihr bei einer Handlung zu, und gerade, wenn man glaubt, im Bilde zu sein, verschiebt sich ein Element genauso wie die Wand in der Installation – und alles ist wieder offen. Dennoch entsteht eine Atmosphäre, die sich in Erwartung der Ereignisse ständig auflädt. Denn schließlich erfährt man von Scharfschützen auf dem Dach, dem Verladen der Gewehre auf Boote, einer Frau, die sich Blut von den Händen wäscht – oder war es doch kein Blut?

Und ebenso wie der Text dem Ereignis, das nie eintritt, ständig eine Bühne bereitet, setzen auch die Bewegungen der Tänzer immer wieder zur großen Geste der Befreiung an, um das alles, diese wirren Fäden der Geschichten zu kappen und hinter sich zu lassen. Die vielen Wände in der Installation bieten ihnen dabei tatsächlich viele Anlässe, sie zu erstürmen und zu erklettern. Um dann in einer der engen Kammern von neuem mit einer Aktion zu beginnen, bis der Raum dafür zu eng wird, sich die Gefühle stauen und etwas nach Gewalt verlangt.

„Begeben Sie sich“ ist der letzte Teil einer Tanzhörspiel-Trilogie von Stiefermann und Wittekind. Es ist ein spannendes Puzzle, dem man gerne zuschaut, auch wenn es etwas zu heftig mit dramatischen Effekten wedelt und Dekonstruktion über alles schreibt.

KATRIN BETTINA MÜLLER

„Begeben Sie sich“, Akademie der Künste am Pariser Platz, 10., 11., 12., 14., 15., 17., 18. August um 18 + 20 Uhr, 19. August 16 + 18 Uhr