Der Adressat ist die Ermittlerin

Unheimlich: „Risk. Du sollst mich fürchten“, ein Serienmörder-Roman von Scott Frost

Er ist nicht totzukriegen, der Serienmörder in der Thrillerliteratur. Mehr als das, ein ganz eigenes Genre hat sich um diese Figur herum entwickelt. Und auch „Risk. Du sollst mich fürchten“, der neue Roman des amerikanischen Autors Scott Frost, hält sich an diese Konventionen, für die die Hannibal-Lecter-Trilogie von Thomas Harris die Grundlagen gelegt hat.

Grundsätzlich lebt der Serienmörder-Thriller von einer Duellsituation. Das teilt er mit den meisten anderen Thrillern, die ja fast immer davon handeln, dass irgendeine kriminelle Höllenmaschine in Gang gesetzt worden ist und es nun an den Ermittlern ist, den Knopf zu finden, um sie wieder auszuschalten. Im Fall des Serienmörder-Genres ist das Besondere aber, dass der eigentliche Adressat des Verbrechens nicht das Opfer ist, sondern der Ermittler. Alex Delillo ist das in „Risk“, die Leiterin der Mordkommission von Los Angeles, die eigentlich schon genug Probleme damit hat, die Eskapaden ihrer Tochter auszuhalten, die zur Schönheitskönigin gewählt werden soll, aus der Wahl aber ein Polithappening macht und daraufhin von der Schule fliegt.

Es ist ein Schachspiel, in das der Serienmörder die Ermittlerin zwingt – indem er sie zum einen zur Komplizin macht. Denn jeder Mord wird so begangen, dass er selbstverständlich hätte verhindert werden können, wenn man denn die Zeichen richtig gelesen hätte. Zum anderen aber, weil die Ermittlerin (und jeder Leser natürlich auch) weiß: Irgendwann wird der Mörder den entscheidenden Fehler machen. Man muss ihn nur zu lesen wissen, um ihn als falschen Zug zu erkennen.

Wie jeder Serienmörderroman bezieht auch „Risk“ seine Dynamik aus dem Umstand, dass diese Schachpartie gegen die Zeit gespielt wird: Ein riesiger Umzug in den Straßen von Los Angeles steht an. Dieser soll Schauplatz des größten, finalen Verbrechens sein. Und dass diese Dynamik sich entfalten kann, liegt an den unterschiedlichen Zugängen zu der Macht, gegen die Spielregeln zu verstoßen. Der Mörder kann die Spielregeln, nach denen er seine Verfolger durch die Stadt jagt, eigenmächtig verändern. Aber auch die Verfolger haben die Wahl: Sie können sich dran halten oder eben nicht.

Scott Frost ist eigentlich Drehbuchautor, in den Neunzigern hat er etwa für die Mystery-Serie „Akte X“ und für David Lynchs „Twin Peaks“ gearbeitet. „Risk“ ist sein Debüt als Romanautor, und es ist als Auftakt einer Romanserie angekündigt, die er rund um die Ermittlerin Alex Delillo konstruieren will. Auch ein Merkmal, das „Risk“ mit anderen Serienmörder-Romanen teilt: Das Serielle des Mordens wird gerne durch das Serielle der Bücher gedoppelt.

Interessant an „Risk“ ist aber vor allem eines: die Figur des Serienmörders selbst. Gabriel nennt er sich hier, nach dem Erzengel. Und was ihn so besonders unheimlich macht, ist, dass er aus einem umfassenden Dunkel heraus operiert, das Frost auch nie auflöst. „Sie wissen nichts über mich“, lässt Frost ihn des Öfteren zu seiner Verfolgerin am Telefon sagen, und dabei bleibt es auch. Wir erfahren nichts über ihn. Da gibt es keine Missbrauchsgeschichte, keine Liebe zur Musik, keine Anhaltspunkte, die das Grauen einigermaßen auffangen und abfedern könnten. Einmal taucht er unter anderer Identität auf, um gleich wieder zu verschwinden. Ansonsten gibt es nur die Morde und den Versuch, sie zu verhindern. Das ist ein äußerst wirksamer erzählerischer Trick. Denn so gruselig ein jeder Serienmörderroman ist: Das stillschweigende Versprechen, das Grauen irgendwann doch zu erklären, wird sonst nur selten gebrochen. TOBIAS RAPP

Scott Frost: „Risk. Du sollst mich fürchten“. Droemer/Knaur Verlag 2007, 480 S., 8,95 Euro