Deutschrock zum Anziehen

Die CD selbst muss nicht mehr um jeden Preis sein, das T-Shirt zur Band aber will der Fan unbedingt. Es darf sogar etwas teurer sein. So lohnt sich das Geschäft mit der Musik noch

VON GUNNAR LEUE

Sie gehören zu den großen Seltsamkeiten in der Warenwelt: Fanartikel. Erdacht für Konsumenten, die sich bei der Kaufentscheidung allein von ihrem Spleen leiten lassen und nicht von Preis-Nutzwert-Überlegungen. Damit sind Fanartikel, neudeutsch Merch, so was wie die renditesicheren Blue Chips des Schnickschnackbusiness. Kapitalismuskritisch gesagt: Topmuster der Überflussproduktion.

Gerade wenn Künstler auftreten, schwinden beim Publikum oft Sinn und Verstand. Die Vergötterung von Unterhaltungsstars hatte bereits früh Form angenommen. Zwar tourten die Minnesänger im Mittelalter nicht samt Merchstand über die Burgen wie heute Ritchie Blackmore, aber ihr eigenes Wappen führten sie allemal schon stolz im Schilde. Auch die moderne Geschichte des Merchandising ist vor allem mit Musik verbunden. Schon in den Zwanzigerjahren wurden im „Dreigroschenoper“-fiebrigen Berlin Tapeten mit Motiven des Singspiels verkauft. In Amerika brachte der Kult um die Rockmusik schließlich Ende der Sechzigerjahre jene bunten T-Shirts hervor, mit denen sich die Hippies in San Francisco als Fans ihrer Lieblingsbands, insbesondere von Grateful Dead, präsentierten.

In England war Led Zeppelin die erste Band, die im großen Stil T-Shirts mit ihren Bandmotiven verkaufte. Das alles bewegte sich jedoch noch in einer Bauchladendimension, verglichen mit dem Angebot, mit dem die US-Rocker Kiss ab den Siebzigern ihre Fans überschütteten. Von der Gitarristenpuppe bis zur Brotbüchse mit Logo und Kiss-Kreditkarte hielten sie für ihr Fanheer eine reiche Auswahl an Überflüssigem im Merchdepot bereit.

Das Kiss-Merchandising dürfte weltweit einmalig sein, aber auch in Deutschland bezahlen Musikfans (so wie Sportfans) viel und gern für die Bekenntnisutensilien. Die Künstler wissen das zu schätzen und werfen immer mehr Zeug auf den Markt. Die Zeiten sind vorbei, als nur ein paar T-Shirts am Konzertstand verkauft wurden. Heutzutage wird das Geschäft mit der Fanware professionell betrieben. Am erfolgreichsten hierzulande von der Berliner Firma Deutschrock. Deren doppeldeutiger Name lässt kaum erahnen, wer dahintersteckt: Die Ärzte.

Die Musiker der Berliner Punkband waren nicht nur erste Lizenzgeber der 1993 gegründeten Firma, sondern auch gleich ihre Gesellschafter. Im Zuge ihrer Reunion hatten Die Ärzte ihre Geschäftsfelder neu geordnet, woraufhin sich plötzlich Jens-Uwe Köhler, Politologiestudent und langjähriger Freund der Band, zum Verantwortlichen fürs Merchandising ernannt sah. Seine Qualifikation: „Ich hatte mich vorher bei Farin Urlaubs Band King Kong um alles gekümmert und besaß dadurch einen gewissen organisatorischen Hintergrund.“ Als Die Ärzte auf die Bühne zurückkehrten, wurden sie von der Faneuphorie überrollt. Und Köhler gleich mit. Schon beim ersten Konzert in Bielefeld rissen ihm die Fans die „Bestie in Menschengestalt“-Shirts aus der Hand. Dass der Typ, der nebenan mit Ärzte-Erlaubnis Antifa-T-Shirts anbot, spontan beim Verkauf half, erwies sich als zukunftsweisend. Kurz darauf war jener Hesse namens Erik Schunder Köhlers Partner bei Deutschrock in Berlin.

Schnell erkannten sie die Einnahmemöglichkeiten und entschieden, die bisher fremd produzierte Ware in einer Kreuzberger Fabriketage selber zu drucken und per Post zu verschicken. Weil sie zunehmend auch Aufträge von anderen Bands bekamen, rüsteten sie auf und bezogen eine größere Halle im Berliner Norden. In der arbeiten mittlerweile etwa 50 Festangestellte. Zudem werden Azubis in Berufen wie Textildrucker, Grafiker oder Lagerist ausgebildet. Während in der Produktionshalle oft laute Rockmusik die Maschinengeräusche überdröhnt, geht es in den darüber gelegenen Büroräumen ruhiger, aber nicht weniger entspannt zu. Hier sitzen die Kreativen, die auf der Basis der von den Bands gelieferten Artwork eine Fanartikelkollektion entwerfen.

Was dabei herauskommt, hängt vereinzelt an den Wänden: T-Shirts, die wie Goldene Schallplatten eingerahmt sind. Ein bisschen wie in einer Plattenfirma, und genau so soll es sein. „Wer bei uns arbeitet, tut das nicht zuletzt aus einer Fanliebe zur Musik“, sagt Deutschrock-Chef Jens-Uwe Köhler.

Die Hingabe der Angestellten zahlt sich aus, denn die Firma ist nach eigenen Angaben Marktführer in der hiesigen Branche. Genaue Umsatzzahlen verrät Köhler jedoch nicht. Sie liegen „im unteren zweistelligen Millionenbereich“. Dass die Geschäfte für die Berliner so gut laufen, hat vor allem mit dem Boom der Livemusik zu tun. Wo Deutsch- und sonstiger Rock dröhnt, ist der Deutschrock-Kunde nicht fern. Auf Festivals wie Hurricane und Southside ist die Firma für das komplette Merchandising verantwortlich. Auch die T-Shirts für das Rostocker „Stimme gegen Armut“-Konzert kommen von den Berlinern, die einen Teil der Erlöse spendeten. Darüber hinaus werden Fanartikel mit Flyern bei Konzerten und in CD-Booklets beworben. Von der Tokio-Hotel-Handysocke über das Die-Ärzte-Alzheimory-Spiel bis zum Ramones-Portmonee findet der Fan fast jeglicher Couleur Devotionalien im Merch Mag, dem Produktheft von Deutschrock.

Im Angebot sind auch Klamotten mit Die-Ärzte-typischem Sprachwitz wie „Nehmt keine Drogen, habt keinen ungeschützten Sex – überlasst das alles mir“. Statt klassische Marktforschung zu betreiben, tauschen sich die Mitarbeiter von Deutschrock rege darüber aus, was machbar ist und wie man es umsetzen kann.

Bei aller kreativen Lockerheit gibt es doch ein paar feste Regeln für die Merchgestaltung: Teeniebands werden übers Konterfei der Musiker verkauft, nicht übers Logo. Und dass schwarze Shirts bei der Kundschaft beliebter sind als weiße, bekam Köhler via Umfrage für seine Diplomarbeit zum Thema „T-Shirts und Jugendlebensstile“ sogar schriftlich. Aufzupassen gilt es auch, wenn die jungen Pophelden ihr Äußeres ändern. „Auf eine neue Frisur von Tokio-Hotel-Sänger Bill reagieren die Fans sofort, also müssen wir es auch.“ Die Bravo ist für Jens-Uwe Köhler und Erik Schunder deshalb Pflichtlektüre. Wie A&R-Manager der Labels sehen sie sich als Trendschnüffler. „Welche Präsenz und welche Fans ein Künstler live hat, ist für uns wichtiger als seine Plattenverkäufe. Wir registrieren sehr genau, ob eine unbekannte Band live begeistert. Wenn die erst mal in den Charts ist, ist es für uns eigentlich schon zu spät“, so Erik Schunder. Schließlich wolle man sie gern exklusiv an sich binden. Deshalb kooperiert Deutschrock inzwischen auch mit den großen Plattenlabels. „Noch vor fünf Jahren wollten die das nicht. Dann kam das Jamba-Trauma, als sie das geschäftliche Potenzial der Klingeltöne verkannten. Das soll ihnen mit Merch nicht noch mal passieren.“

Ein Deal, der sich für alle Beteiligten lohne, sagt Köhler. „Wir erfahren früh, wer auf den Sprung zum Popstar ist, und die Labels bekommen dafür etwas von unserem Gewinn ab.“ Und die Bands? „Die gelangen gleich in ein professionelles Umfeld mit Onlineauftritt und Katalog, an ihrem Einnahmenanteil ändert sich durch die Einbeziehung der Labels nichts.“ Vom Verkaufserlös eines Fanartikels bekommt der Künstler in der Regel ein Drittel, ein Drittel verschlingen die Produktionskosten, vom Rest bleibt für Deutschrock nach Abzug der Vertriebskosten der Gewinn.

Die erste große Kooperation mit Universal Music war gleich ein Volltreffer: Tokio Hotel. Wie viel Umsatz sie mit den Magdeburgern erzielen, verraten Köhler und Schunder zwar nicht, aber das Merch Mag spricht Bände: Auf mehreren Seiten schauen die Teeniehelden treu aus der Wäsche, von Tassen und Kalendern. Was bei einem Festival nie funktionieren würde, scheint für die Fans des Deutschrock-Katalogs kein Problem: Tokio Hotel, Die Ärzte, Metallica, Nirvana, Dieter Thomas Kuhn, Franz Ferdinand und auch Die Toten Hosen brav vereint auf einer Verkaufsbühne.

„Wenn wir nur die Bands vermarkten würden, die wir privat hören, würden wir nicht ganz so viel verkaufen“, sagt Jens-Uwe Köhler. Schlagerbarde Semino Rossi? „Der Bedarf ist da.“ Klassik? Auch dort wartet Deutschrock-Kundschaft. Superstars wie Lang Lang und Anna Netrebko sind massenkompatibel und damit reif fürs klassische Merchgeschäft.

„Wir betreuen aber nicht alles auf Gedeih und Verderb“, versichert Köhler. Die bunte Mischung komme auch dadurch zustande, dass viele Künstler von sich aus ins Deutschrock-Umfeld drängten. „Etliche Musiker wollen ihr Merch über uns verkaufen, weil sie früher selbst Kunden bei uns waren und weil unsere Firma inzwischen auch einen gewissen Kultstatus hat.“

Direkt abgelehnt habe man zwar noch keinen Künstler, sagt Erik Schunder, allerdings finde alles mit irgendwie rechtem Touch keinen Platz. Deshalb sei zeitweise auf die Zusammenarbeit mit einem Musikmagazin verzichtet worden, das stark mit den Böhsen Onkelz sympathisierte.

Auch das Angebot an Anti-Nazi-Merch bei Deutschrock kann sich tatsächlich sehen lassen, wie natürlich das umfangreiche Fanartikelsortiment von Die Ärzte, die ihren Geschäftsführern weder ins Tagesgeschäft hineinreden noch Kommentare zur Firma abgeben. Es sind im wahrsten Sinne stille Gesellschafter. Zudem begnügen sie sich mit ihren Lizenzeinnahmen als Künstler aus ihrem eigenen Merch. Davon profitiert nicht zuletzt die Belegschaft. Darüber hinaus seien soziale Standards für ein kleines Unternehmen in einer globalisierten Zulieferindustrie natürlich schwer zu kontrollieren, sagt Köhler. Man achte aber schon darauf, dass man keine T-Shirts bezieht, die beispielsweise in Fabriken in Bangladesh mit Kinderarbeit produziert wurden.

Zuverlässigkeit und Qualität sind das, was die internationalen Stars an Deutschrock schätzen. Bands wie Green Day oder Smashing Pumpkins haben zwar nicht ihre Merchlizenz, aber immerhin den Auftrag zum T-Shirt-Drucken an die Berliner vergeben, wenn sie auf Europatournee gehen. Der Deal mit den Rolling Stones war allerdings kein lohnendes Geschäft, bestenfalls eine Erfahrung. „Die Stones hinterlassen verbrannte Erde, weil es immer Leute gibt, die unbedingt mal mit ihnen arbeiten wollen und sich dann abzocken lassen.“ You can’t always get what you want. Man hat seine Lehren daraus gezogen.

Dass manche „Kinderkrankheiten“ glimpflich überstanden wurden, sei eben „auch der glücklichen Fügung mit den Ärzten zu verdanken“. Mit ihnen im Hintergrund konnte die Firma zudem Avancen begehrlicher Investoren zu Zeiten der New Economy zurückweisen. Diverse Interessenten von Jack White bis zu IT-Firmen aus Hamburg wollten in den boomenden Nischenmarkt Merchandising einsteigen. „Wir haben uns aber nicht in den Hype reinziehen lassen, sondern unser Ding kontinuierlich weitergemacht.“ Schritt für Schritt zur Marktführerschaft im Merchhandel, der zwar immer noch so klein ist, dass es nicht einmal einen Branchenverband gibt, aber stetig wächst. Allein in der Deutschrock-Datenbank sind 200.000 Kunden gespeichert, zu denen auch Amerikaner, Japaner und Finnen gehören.

An den rosigen Geschäftsaussichten gerade im Vergleich zu den Plattenfirmen dürfte sich wenig ändern. Nicht nur weil die jugendliche Zielgruppe über hohe Kaufkraft verfügt und auch immer mehr Mädchen bereit sind, sich abschöpfen zu lassen. Vor allem gilt für das Konzertsouvenir Ähnliches wie für das Livekonzert selbst: Es ist eine besondere Erinnerung, die man sich gern etwas kosten lässt. „Ein T-Shirt oder eine Tasse kannst du nun mal nicht downloaden oder brennen“, so Köhler.

Gerade die Open-Air-Saison ist höchste Deutschrock-Zeit. Wie bei einer Band gibt es anfangs ein wenig Nervosität, weil man nicht genau weiß, wie was ankommt. Also wird erst mal eine große Bandbreite an Merchzeug rausgeschickt und während der Tour geschaut, was am besten läuft. Die besten Motive werden dann on Demand produziert.

2007 dürfte Herbert Grönemeyer der große Abräumer werden. Bei seiner Tour mit über einer Million Besuchern verkaufen sich seine T-Shirts bestens. Der größte Deutschrock-Verkaufshit sind sie freilich nicht. Den stellen natürlich die Gesellschafter selbst mit dem grün-orange gestreiften „Planet Punk“-Shirt.

GUNNAR LEUE, Jahrgang 1963, wohnt auf dem Planeten Pop. Sein Geld für Modeschnickschnack verdient er als freier Autor in Berlin