Hürdenparcours im Untergrund

Wenn man nur an jeder dritten Haltstelle Hamburgs ein- und aussteigen kann, wird eine Bahnfahrt schnell zur Tortour. Für Rollstuhlfahrer und Sehbehinderte ist das Alltag im öffentlichen Nahverkehr

Der Hamburger Verkehrsverbund (HVV) bietet in seinen Kundenzentren die kostenlose Informationsbroschüre „Mobilität für alle“ an. Darin sind die wichtigsten Fakten zum Thema Bus- und Bahnfahrt zusammen gestellt. Unter www.hvv.de können sich Interessierte den Prospekt auch herunterladen. Darüber hinaus gibt die Hamburger Landesarbeitsgemeinschaft für behinderte Menschen auch direkte Hilfestellungen bei Problemen. Dazu gehören zum Beispiel Schulungen im Öffentlichen Nahverkehr für Rollstuhlfahrer und Sehbehinderte. Weitere Informationen gibt es auf der Homepage www.lagh-hamburg.de. UG

VON UTA GENSICHEN

Die Höhe einer Treppenstufe beträgt in der Regel etwa 15 Zentimeter. Was sind angesichts dessen schon acht Zentimeter? Für Hamburgs Rollstuhlfahrer kann dieses Maß schon das Ende einer U-Bahnfahrt bedeuten, noch bevor sie überhaupt eingestiegen sind.

Steht man zum Beispiel an der Haltestelle Fuhlsbüttel und erwischt eine altes Modell der Untergrundbahn, wird aus lächerlichen acht Zentimeter Höhenabstand zwischen Bahnsteig und Zug schnell ein unüberwindbares Hindernis. Bei neueren Wagen liegt der Einstieg etwas niedriger. „Mit einem Handrolli muss man bei den alten U-Bahnen ganz schön ankippen und ein E-Rolli schafft das alleine gar nicht“, sagt Silke Dammann.

Dammann ist selbst querschnittsgelähmt und Mitglied der Hamburger Landesarbeitsgemeinschaft für behinderte Menschen. Dammann schult zudem Behinderte in der Benutzung des Hamburger Verkehrsnetzes. Außerdem bildet die 39-Jährige Mitarbeiter des Hamburger Verkehrsbegleitservice (HVBS) im Umgang mit Behinderten aus. Nur wenige kennen sich mit den Tücken des Bahnalltags wohl so gut aus wie Silke Dammann. Und Tücken gibt es auf den 146 Schnellbahnhaltestellen genug. Denn nur an jeder dritten Station können Behinderte relativ gefahrlos ein- und aussteigen. Die Losung der HVV-Informationsbroschüre „Mobilität für alle“ verbreitet bei vielen Betroffenen da nur ein müdes Lächeln.

Wie mobil sich behinderte Menschen im Alltag wirklich bewegen können, wird Nichtbehinderten oft erst auf den zweiten Blick klar. Dann nämlich kommen bis dahin unbeachtete Zeichen zum Vorschein, die an allen Haltestellen angebracht sind. So stellen sich Rollstuhlfahrer in S-Bahn-Stationen an den so genannten H-Schildern auf, sodass sie der Fahrer bei der Einfahrt sieht. Dieser steigt daraufhin aus, stellt eine Rampe zwischen Bahn und Steig auf und lässt sich den Zielbahnhof des Behinderten sagen, um dort dann wiederum eine Rampe bereitzustellen. „Diese Sache hat sich in den letzten Jahren verlässlich entwickelt“, sagt Dammann. „Manchmal übernimmt sogar schon mal ein Fahrgast von ganz alleine das Aufstellen der Rampe.“

Um den Fahrern der U-Bahn-Linien hingegen das Rampen-Aufstellen zu ersparen, entschloss man sich in den Stationen zu einer Erhöhung der Bahnsteige. Nun zieren vielerorts lediglich erhöhte Abschnitte die unterirdischen Haltestellen. Nur von diesen gekennzeichneten Stellen aus können Rollstuhlfahrer in die Bahn übersetzen. Anschließend müssen sie darauf vertrauen, dass die Bahn am Zielort wieder exakt an einer solchen Erhöhung zum Stehen kommt. Die Alternative heißt sonst: Weiterfahren.

Wichtiger noch als der Ein- und Ausstieg ist aber das Vorhandensein eines Aufzuges. Erst dieser ermöglicht Müttern mit Kinderwagen, Blinden oder Rollstuhlfahrern einen barrierefreien Zugang zur Haltestelle. Verärgert berichtet Silke Dammann über die Fahrstuhlsituation am Hauptbahnhof: „Zwar haben alle U- und S-Bahnhöfe hier Aufzüge, aber die sind alle verstreut und schlecht zu finden.“ Steigt man hingegen in der Mönckebergstraße oder in der Feldstraße aus, findet der Betroffene gar keinen Aufzug vor.

Von unbegrenzter Mobilität kann in Hamburg demnach noch lange keine Rede sein. Lediglich 57 der 146 Bahnhöfe sind als barrierefrei gekennzeichnet, eine schnelle Änderung der Situation ist noch nicht in Sicht. Der SPD-Fraktion ging Ende Juli (taz berichtete) diese stadtentwicklungspolitische Trägheit der Stadt zu weit. Vor der Sommerpause stieß sie die Bürgerschaft in einem Antrag an, den Senat zu mehr Eile aufzufordern. Ziel ist es, die Zahl der barrierefreien Schnellbahn-Haltestellen zu verdoppeln. „Aus unserer Sicht ist das auch finanzierbar“, sagt Jan Quast (SPD). So würde die Stadt aufgrund eines neuen Vertrags mit der S-Bahn Hamburg GmbH Kosten in der Höhe von 70 Millionen Euro sparen. Ginge es nach der SPD-Opposition, könnte diese Summe für den barrierefreien Umbau genutzt werden.

Bis zum 29. August muss sich die Fraktion noch gedulden, dann nämlich kommt das Thema auf den Tisch der Bürgerschaft.