JE MEHR KÄSE, DESTO WENIGER LÖCHER? ZWISCHEN MONTAGS-HIPHOP UND MONTAGSDEMO IM HALBVOLLEN PRINCE CHARLES
: Die Zugezogenen sind zurück am Geburtsort

JURI STERNBURG

Endlich wieder Krieg“, tönt es von der Bühne, und die willigen Massen antworten, wie zu erwarten war: „Endlich wieder Krieg, ich schlaf aus bis 13 Uhr / Hurra die Schule brennt / Krieg braucht kein Abitur!“ Was aus dem Kontext gerissen nach dem skurrilen Auftritt einer Bürgerbewegung oder eines „Agitprop meets Ken Jebsen“-Happenings im Sportpalast klingt, ist in Wirklichkeit der Auftritt des HipHop-Duos Zugezogen Maskulin, bestehend aus den beiden Rappern Testo und Grim 104. Der Prince Charles Club ist passend zum Namen der Band gerade halb gefüllt. Knapp vor Weihnachten sind nämlich viele der üblichen Verdächtigen schon zu Hause in Freiburg oder Darmstadt, bevor sie dann kurz vor Silvester wieder in die Stadt einfallen, um sich ein ganzes Jahr lang von der Langeweile ihrer Geburtsorte zu erholen. Irgendwie können es einem diese Zugezogenen auch nicht recht machen, nicht mal, wenn sie abwesend sind. Wenigstens verpassen sie jetzt diesen guten Auftritt und sorgen außerdem dafür, dass der Saal nur halb gefüllt ist. Das mag nicht logisch erscheinen, aber ich kann das erklären: je mehr Käse, desto mehr Löcher. Je mehr Löcher, desto weniger Käse. Also: Je mehr Käse, desto weniger Käse. Verstanden? Alles nicht unsinniger als die Montagsdemos dieser Tage.

Wodka statt Korn

Während sich die „Friedensbewegten“ aber um den – Überraschung – Frieden ihrer jahrelang liebevoll gepflegten Gartenzwerge sorgen und lieber Wodka statt Korn trinken würden, stehen hier zwei junge Menschen und öffnen ihre Herzen, ganz im Sinne des Agitprop, den man andernorts so gern vermuten würde. Das klingt dann unter anderem so: „Die lila Wolken sind verschwunden im Fauchen der Turbinen / Tausend Roboter – Rauchende Ruinen / Durch den Schlamm auf allen Vieren, Ernst Jünger rezitieren / Bloodland statt Stadtstrand – Alle jubilieren.“ Falls sich jemand unter Ihnen fragt, was nach dem gerade erst erschienenen Album, „Russisch Roulette“, von Haftbefehl im nächsten Jahr überhaupt noch Interessantes kommen kann (was ich ernsthaft bezweifle), dann ist hier die Antwort.

Zugezogen Maskulin werden 2015 die Feuilletons ähnlich dominieren, wie es Haftbefehl 2014 tat, und wahrscheinlich trotzdem oder auch gerade deswegen, im Verhältnis zu den anderen Rap-Größen, relativ wenig Alben verkaufen. Vollkommen egal, wir sind ja hier und wissen um die Qualität. Zwei Schnaps, bitte.

Auf der Bühne geht es indes weiter: „Was MDMA? Ich hab PTBS / Lars Märholz wird als Erstes von Raketen zerfetzt / Mein Vater schaut ‚Die Brücke‘, in seinen Augen stehen Trän’n / Mein Trommelfell spielt Marschlieder, kann ihn nicht versteh’n.“ Spätestens jetzt gibt es keine Ausreden mehr, warum man sich das bald erscheinende Zugezogen-Maskulin-Album „Alles brennt“ nicht zu Gemüte führen sollte, egal ob man diesen „neumodischen Sprechgesang des Prekariats“ inzwischen verstanden hat oder immer noch in alten Klischees gefangen ist. Diese Lyrik sollte man nicht unbeachtet lassen. Das Konzert ist inzwischen beendet. Irgendwie ist die Stimmung heute anders. Derart viele Berliner scheinen der Situation nicht gutzutun, es fehlen die überschwängliche Euphorie und die Emotionalität der Bauerntölpel.

„Zugezogene sind meistens gefühlskalte Menschen, die aber nicht in der Lage sind, dies zu zeigen“, analysiert mein Tresennachbar nüchtern. Da mag er recht haben. Ist mir aber auch egal, mir fehlen die Zugezogenen jetzt schon. Die auf der Bühne und die, die man braucht, um sich beschweren zu können.