Kampf den Ösis!

SKISPRINGEN Das deutsche Team ist gut in die Saison gestartet. Neben den altbekannten Größen weiß mit Markus Eisenbichler ein Springer aus der zweiten Reihe zu gefallen

„Es gab in den vergangenen Jahren genügend österreichische Siege“

SEVERIN FREUND

AUS ENGELBERG KLAUS-ECKHARD JOST

Auch wenn Skisprungbundestrainer Werner Schuster es nicht gern zugibt, aber ab und zu schielt er doch auf die Weltcupwertung. Vor allem auf die des Nationencups. In den vergangenen Jahren schien der erste Platz stets für Österreich reserviert. Nach dem ersten Drittel der Saison 2014/15 jedoch sieht’s ganz anders aus. Ganz oben auf dem Tableau steht mit 1.610 Punkten Deutschland, dahinter folgen Norwegen (1.331) und dann erst Österreich mit 1.272 Punkten.

Schon einmal konnten die deutschen Skispringer sich vor ihren österreichischen Kollegen platzieren: Bei den Olympischen Spielen im Februar in Sotschi war’s, als sie mit 2,7 Punkten Vorsprung Gold gewannen. Eine zusätzliche Bestätigung für diese außergewöhnliche Leistung wurde dem Quartett Severin Freund, Marinus Kraus, Andreas Wank und Andreas Wellinger zuteil, als es am vergangenen Sonntag hinter den Fußballweltmeistern auf Platz zwei bei der Wahl zum „Sportler des Jahres“ kam.

Seit Werner Schuster im März 2008 das Amt des Bundestrainers angetreten hat, hat er auch ein neues System eingeführt. Nach einem einheitlichen Leitbild, das der gebürtige Österreicher aus seiner Heimat mitgebracht hat, wird in den verschiedenen Stützpunkten Hinterzarten, Oberstdorf, Ruhpolding und Klingenthal gearbeitet. Er selbst hält sehr engen Kontakt zu den jeweiligen Stützpunkttrainern. Sein Motto lautet: „Allein ist man nichts, wichtig ist, dass man ein Team um sich schart.“

Schusters System fußt auf vier Säulen. Er umschreibt es so: „Es sind die Basiskompetenzen, die uns so stark machen.“ Zum einen ist das die Athletik, dann die einheitliche technische Linie. „Der dritte Punkt ist, dass die Materialschiene sehr gut abgedeckt ist.“ Und dies ist eingebettet in ein besonderes Klima, in dem die Springer ihr Leistungspotenzial ausschöpfen können.

Dass dies gelingt, zeigt sich in jedem Winter aufs Neue. Severin Freund und Michael Neumayer sind alte Bekannte. Doch zu ihnen stoßen immer wieder neue Talente hinzu. Vor zwei Jahren war dies Andreas Wellinger, im vergangenen Winter fiel Marinus Kraus positiv auf, in den ersten Springen dieser Saison überraschte Markus Eisenbichler. Der Siegsdorfer belegt momentan als zweitbester Deutscher nach Freund Platz zwölf im Weltcup. In Engelberg stieß zum ersten Mal Stephan Leyhe dazu und konnte sich gleich zweimal für den Finaldurchgang qualifizieren.

Schuster weiß, wie er mit seinen jungen Sportlern umgehen muss. Als Richard Freitag, gehandicapt durch einen grippalen Infekt, vor zweieinhalb Wochen bei den Springen in Lillehammer nur mühsam vom Schanzentisch wegkam, ersparte er ihm die beschwerliche Reise nach Nischli Tagil, Russland, und verordnete ihm ein Spezialprogramm. Zuerst sollte er sich auskurieren, dann sich mit Krafttraining wieder in Form bringen. Sprünge waren nicht vorgesehen. „Wir haben – ganz offen gesagt – alles auf eine Karte gesetzt“, sagte Schuster nach Freitags Rückkehr in Engelberg, „es gab nur eines: hopp oder top.“ Der 23-Jährige sagte: „Mir geht es gut, der Körper hat sich erholt.“ Und er zeigte dann wieder Spitzenleistungen. Am Samstag gewann er, am Sonntag wurde er Vierter.

Die große Konstante im deutschen Team ist jedoch Severin Freund. Der 26-Jährige gehört schon seit einigen Jahren zur erweiterten Weltspitze. Im März konnte er endlich bei den Skiflugweltmeisterschaften seinen ersten großen Titel erringen. Auch er scheiterte häufig an einem österreichischen Konkurrenten, von denen immer einer bei den vergangenen sechs Ausgaben der Vierschanzentournee triumphieren konnte. Die Chance, dass dies bei der am Sonntag beginnenden Ausgabe anders sein könnte, bezeichnet Freund als „relativ groß, weil sie von der mannschaftlichen Geschlossenheit nicht mehr da sind, wo sie mal waren“. Trotzdem warnt er vor allzu viel trügerischer Sicherheit: „Sie sind immer noch sehr stark.“ Aber dann ergänzt er: „Es gab in den vergangenen Jahren genügend österreichische Siege. Deswegen ist es an der Zeit für etwas anderes.“ Severin Freund wäre ein Kandidat dafür.