#Freiheit

FANBASE Jeder kann, alles geht, das zieht: YouTube-Star Simon Unge nutzt diese Dogmen und kündigt seinem Vermarkter in einem pathetisch-wütenden Video

Wie so häufig bei Vertrags-Hickhacks ist es am Ende schwer zu beurteilen, wer im Recht ist. Generell dominiert sie aber, die Geschichte von David gegen Goliath

VON MEIKE LAAFF

Simon ist raus.

„Die schwerste Entscheidung meines Lebens #Freiheit“ hat er das YouTube-Video genannt, in dem er 13 Minuten lang erklärt er, warum er seine beiden YouTube-Kanäle mit insgesamt 2 Millionen Abonnenten dichtmacht – und beim YouTuber-Netzwerk Mediakraft kündigen will. Ein „Scheißladen“ sei das, würde ihn nicht gescheit unterstützen, sondern nur Geld scheffeln. Habe gedroht, in in die Privatinsolvenz zu stürzen. „Ich möchte nie wieder in meinem Leben etwas mit euch zu tun haben“, sagt er, in diesem Schwarzweißvideo. Ein bisschen überdramatisch, wie ein Teenie, der gegen seine Eltern rebelliert.

Genau diese Zielgruppe reagierte dann aber: Über 2 Millionen haben Unges Video binnen zwei Tagen angeklickt. Über 450.000 Abonnenten hat sein neuer YouTube-Kanal bereits – obwohl darauf nicht mehr steht als ein kurzer Trailer. Der Hashtag #Freiheit schießt sofort in die Trending Topics von Twitter.

Simon Unge, nie gehört? Der 24-Jährige ist ein Beispiel für die fragmentierten Öffentlichkeiten in Zeiten von YouTube. Über 30 Millionen Mal im Monat werden seine Videos angeklickt, in denen er Computerspiele zockt oder einfach seinen Alltag filmt. Skateboarden, Minecraft, rumalbern mit Freunden. Jenseits der YouTube-Szene ist er weitgehend unbekannt. Und lehrt doch gerade der Firma Mediakraft das Fürchten.

Unge ist eines der Zugpferde dieses YouTuber-Netzwerks, einer Art Produktionsfirma für Webvideos. Über 2.000 YouTuber stehen bei ihr unter Vertrag, bis zu 10 Millionen Mal am Tag werden deren Videos pro Tag angesehen.

Simon Unge trägt nun nicht nur einen Streit in die Öffentlichkeit, den man sonst im Stillen austrägt, sondern mit ihm verliert Mediakraft auch Millionen Klicks und Abos – die Währung, mit der die Firma ihren Wert begründet. Das ist unangenehm, weil sie gerade erst im Oktober ein Aushängeschild verloren – den Nachrichten-YouTuber Florian Mundt alias LeFloid, der auch 2 Millionen Abos mitnahm und eine Art Klassensprecher der deutschen YouTuberia war.

Unge ist es gelungen, seine Fanbase gegen Mediakraft zu mobilisieren – davon zeugen unzählige Kommentare und Tweets. Ein beschwichtigender Facebook-Post von Mediakraft-Geschäftsführer Spartacus Olsson, in dem wiederum Unge Vertragsverstöße vorgeworfen werde, änderte daran wenig. Wie so häufig bei Vertrags-Hickhacks ist es am Ende schwer zu beurteilen, wer im Recht ist. Generell dominiert sie aber, die Geschichte von David gegen Goliath. Vom Aufbegehren gegen Autoritäten. Jeder kann, alles geht, das zieht, ist eines dieser YouTube-Dogmen. #Freiheit eben.

Früher trugen Musiker den Kampf künstlerische Freiheit versus Gewinnabsicht mit Majorlabels aus. Die Neuauflage davon ist heute die YouTube-Szene. Mit dem Unterschied, dass die YouTuber, einmal bekannt geworden, ohne Zwischenvermarkter direkt mit ihren Fans sprechen, ihre Videos veröffentlichen können. Solange YouTube mitmacht.

Auf Mediakraft kommen hingegen harte Zeiten zu – muss man nicht nur um die Gunst populärer YouTuber und des Publikums buhlen, sondern auch noch den Investoren verklickern, warum man seine Schützlinge nicht unter Kontrolle hat.

Denn das ist der digitale Medienwandel. Die Abstimmung der Hunderttausende mit dem Zeigefinger. Ein 24-Jähriger, der Hunderttausende Fans mit einem einzigen YouTube-Video dirigieren kann. Wenn er verstanden hat, dass er groß und zugkräftig genug ist, um auf kein Netzwerk der Welt angewiesen zu sein. Sondern sich einfach nur auf seine Freiheit berufen muss.