Generalmobilmachung gegen den Dschihad

FRANKREICH In Dijon rast ein 40-Jähriger mit seinem Auto in mehrere Fußgängergruppen. Politiker fordern konsequente Taten

In ersten offiziellen Verlautbarungen war von einem „Geistesgestörten“ die Rede

AUS PARIS RUDOLF BALMER

Ist Frankreich mit einer neuen Form von terroristischen Einzelkämpfern konfrontiert, die bei der polizeilichen Überwachung durch die Maschen schlüpfen und völlig unversehens zur Tat schreiten? Diese Frage stellt sich nach zwei Vorfällen am Wochenende. Staatspräsident François Hollande rief die Bevölkerung zu „größter Wachsamkeit“ auf. Die Regierung warnt zugleich aber auch vor „voreiligen Schlüssen“ und „Panik“. Der sozialistische Innenminister Bernard Cazeneuve sprach von einer „Generalmobilmachung gegen den Dschihad“. Derzeit seien mehr als hundert Ermittlungsverfahren wegen Beteiligung am Dschihad im Gange und 13 Gruppen, die in Kontakt zu islamistischen Terroristen standen oder Männer und Frauen für den Krieg in Syrien und Irak rekrutierten, seien zerschlagen worden.

Unklarheit herrschte weiterhin über die Motive eines 40-jährigen Fahrzeuglenkers, der am Sonntagabend im Stadtzentrum von Dijon vorsätzlich mehrere Gruppen von Fußgängern angefahren hat. Insgesamt dreizehn Personen sind dabei verletzt worden, sechs von ihnen waren noch im Krankenhaus. Laut der Lokalzeitung Le Bien public habe der Tatverdächtige zuerst um 20 Uhr in der Nähe der Place Wilson vier Passanten umgefahren, danach bei vier weiteren Kollisionen neun weitere Personen. Als der zunächst flüchtige Lenker wenig später von der Polizei festgenommen werden konnte, habe er sich auf „Allah“ berufen und gesagt, er habe das „für die Kinder Palästinas“ gemacht. Bei seiner Festnahme trug er laut Zeugen eine Dschellaba, eine vor allem von islamistischen Salafisten bevorzugte traditionelle Kleidung aus dem Maghreb. In ersten offiziellen Verlautbarungen war von einem „Geistesgestörten“ die Rede.

Die Behörden gaben zunächst keine Einzelheiten zu seiner Identität bekannt. Innenminister Cazeneuve bestätigte aber im Fernsehen, dass der Tatverdächtige der Polizei aufgrund diverser Vorstrafen bekannt sei. Er sei 40-jährig und erst kürzlich aus einem psychiatrischen Krankenhaus entlassen worden. Es stelle sich darum effektiv die Frage seiner Zurechnungsfähigkeit. Bei seinem Besuch in Dijon erklärte der Innenminister aber: „Nur die Abklärungen der Justiz können über die Motive exakte Auskunft liefern.“

Zudem gebe es keinerlei Hinweise auf einen Zusammenhang mit einem anderen Vorfall. Am Samstag war im mittelfranzösischen Joué-lès-Tours ein 20-Jähriger, der mit einem Messer Polizisten im Kommissariat angegriffen und verletzt hatte, erschossen worden. Er hatte dabei „Allahu Akbar“ gerufen. Laut ersten Ermittlungen war der in Burundi geborene Franzose vor einigen Jahren zum Islam konvertiert. Er war aber im Unterschied zu seinem (inzwischen in Burundi festgenommenen) Bruder, der als islamistischer Extremist von der Polizei überwacht wurde, nicht wegen einer Radikalisierung oder wegen Kontakten zu terroristischen Organisationen wie dem Islamischen Staat (IS) aufgefallen. Einige seiner Bekannten aus dem Quartier in diesem Vorort von Tours wollten darum der Version der Polizei eben keinen Glauben schenken.

Meinung + Diskussion SEITE 12