Klappe halten in China

Josef Capousek, als deutscher Cheftrainer einstmals überaus erfolgsverwöhnt, verzweifelt bei der Weltmeisterschaft der Kanuten an den kulturellen Eigenarten seiner neuen chinesischen Schützlinge

„Da sind ein paar Fragezeichen, die ich nicht gern sehe“

AUS DUISBURG SUSANNE ROHLFING

Manchmal ertappt Josef Capousek sich beim Blick in die Vergangenheit. Dann reist er gedanklich in längst vergangene goldenen Zeiten. Damals sammelten die deutschen Kanuten unter seiner Führung Siege über Siege. Lange dauern diese Ausflüge nie. „Ich bin kein so sentimentaler Mensch“, sagt Capousek. Alles ist anders für den Erfolgstrainer, seit er am 1. April 2005 dem Deutschen Kanu-Verband nach 15 Jahren als Chef-Bundestrainer und 17 bei Olympia gewonnenen Goldmedaillen den Rücken kehrte und sich als Trainer der chinesischen Kanuten verpflichten ließ. Für den 61-Jährigen geht es nicht länger um den technischen und konditionellen Feinschliff fertiger Athleten, in China muss er viel grundlegender arbeiten.

Auch bei der Kanu-WM in der vergangenen Woche in Duisburg war für Capousek alles anders. Er war nicht mehr der Herrscher über die erste Garage im Leistungszentrum an der Regattabahn, der Garage, vor der schwarz-rot-goldene Regiestühle stehen und die erfolgreichsten Boote von Duisburg lagerten. Capouseks Reich war die fünfte Garage, wo seine Chinesen die Finalläufe häufig am Fernsehbildschirm verfolgten und nur selten aus dem Boot heraus. Sieben Endlaufteilnahmen standen am Ende zu Buche und nur zwei Medaillen am gestrigen letzten WM-Tag. Bronze gewann Wenjun Yang über 500 Meter im Einzel-Kanadier und Silber der Kajak-Vierer der Frauen. Man wird sich mehr erhofft haben.

„Ich bin schon ein bisschen enttäuscht, da sind ein paar Fragezeichen, die ich nicht gern sehe“, sagt Capousek. Der chinesische Kanuverband hat den in der Tschechoslowakei geborenen und seit 1968 in Deutschland lebenden Trainer engagiert, um bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking mehr aus den chinesischen Kanuten herauszuholen, als den einen Olympiasieg, mit dem der Canadier-Zweier mit Meng Guanliang und Yang Wenjun in Athen überrascht hatte. Manchmal zweifelt Capousek daran, ob er auf dem richtigen Weg ist. Er ist in China auf ein Trainings-System gestoßen, das überhaupt nicht zu seiner Erfolgsphilosophie passt. Die Athleten paddeln nicht, weil sie gern wollen, sondern weil sie müssen. Von Talentsuchern werden sie an ihren Schulen für groß und stark genug für den Kanusport befunden und in Sportschulen gesteckt. Kanufahren wird für sie zum Beruf, ob sie wollen oder nicht. Erst sind sie Athleten, später werden sie Trainer sein. „Ich kenne keinen Trainer, der ein Studium hat, von einem Abitur rede ich gar nicht“, erzählt Capousek. Vielleicht resultiere der in China übliche tägliche Drill aus einer Unsicherheit der Trainer heraus. „So versuche ich mir das zu erklären, wenn ein Sportler Fragen stellt und ich keine Antworten habe, sage ich eben: Halt die Klappe und mach!“

Nun bahnt es sich womöglich doch an, das gefühlte 23. Comeback von Birgit Fischer. Die mittlerweile 45-Jährige beklagte am Rande der WM in Duisburg, dass der Deutsche Kanu-Verband die 200-Meter-Einer der Frauen nicht besetzte: „Die hätten mich anrufen können, ich wäre den gefahren. Darauf hätte ich mich locker vorbereiten können, das hätte ich immer noch geschafft.“ Zwar hat die Unverwüstliche „keine Ahnung“, ob sie überhaupt fit ist, weil sie nicht trainiert, aber für Peking 2008 will sie nichts ausschließen: „Ich habe mich noch nicht entschieden, was mit Olympia passiert. Und ich fühle mich nicht schlecht, obwohl ich seit zwei Jahren nicht im Rennboot gesessen habe.“ Zuletzt hatte die erfolgreichste Kanutin aller Zeiten bei der WM 2005 noch zweimal Bronze gewonnen. ROH

Capousek hat damit angefangen, den Athleten zu erklären, warum sie wann was machen. Er hat ihnen beigebracht, dass Trainingspausen genauso wichtig sind wie Schinderei. „Ich habe angefangen, den Sportlern mehr Selbständigkeit zu geben“, sagt Capousek. Aber manchmal verstehen die chinesischen Kanuten die Neuerungen ihres deutschen Trainers nicht. So war Capousek entsetzt, als die Athleten bei einem Lehrgang zu sechst oder zu acht in winzigen Zimmern mit Doppelstockbetten untergebracht wurden. Er ging zum Hotelmanager – und blitzte ab. Er telefonierte mit den Mächtigen des Verbandes in Peking – und setzte sich nach einigem Hin und Her durch. Die Sportler bekamen Doppelzimmer. „Ich war sehr stolz“, sagt Capousek. Doch es dauerte nicht lange, und sein Dolmetscher stand mit zwei weinenden Chinesinnen vor ihm. Sie ließen fragen, was sie falsch gemacht hätten. Capousek war verwirrt. Dann fand er heraus, dass es als Bestrafung empfunden wurde, zu zweit in einem Zimmer schlafen zu müssen. Capousek hat daraus gelernt: „Die sind in einem Kollektiv groß geworden, da ist es ganz normal, in der Gruppe zu schlafen.“ Vielleicht sähe er manche Sachen noch immer falsch, meint der Trainer. „Vieles gehört einfach zu der Kultur in dem Land, wir können nicht unsere Verhältnisse auf China übertragen, genauso wenig wie die USA ihre Demokratie auf den Irak übertragen können.“

Aber Capousek wird weitermachen. Er wird weiter Pausen anordnen, mit modernsten technischen Hilfsmitteln die Leistung seiner Athleten überprüfen und steuern, sie gegen Doping-Vorwürfe verteidigen, schließlich würden sie regelmäßig kontrolliert. Capousek hat das Gefühl, dass seine Chinesen immer mehr zu schätzen lernten, dass er sich um sie kümmert, dass er sie aufklärt. „Ich kann etwas nicht mit dem Herzen machen, wenn ich nicht weiß, warum“, sagt Josef Capousek. Deshalb predigt er weiter Selbständigkeit. Alles für Olympia. Und für sich selbst. Für sein Verständnis vom modernen Leistungssport.