Die Revolution in der Revolution

Auf Kuba meldet sich Fidel Castro zum 81. Geburtstag wieder in der Öffentlichkeit zurück. Die Macht liegt längst in anderen Händen. Das schürt die Hoffnung auf echte Reformen

Die Kubaner leiden an Versorgungskrise und Wohnungsnot. An den politischen Wechsel glaubt kaum jemand

Auch ein Marathonläufer wird einmal müde, hat der dienstälteste Revolutionär der Welt einmal gesagt. Doch derzeit scheint Fidel Castro den eigenen Satz widerlegen zu wollen. Von Woche zu Woche wirkt Kubas Staatschef im Krankenstand agiler. Immer öfter äußert sich der Máximo Líder in seinen Kolumnen, den reflexiones, zur nationalen wie internationalen Politik. Und neuerdings trifft der 81-Jährige auch wieder Entscheidungen.

Ein aktuelles Beispiel betrifft die reumütige Rückkehr der beiden kubanischen Ausnahmeboxer Guillermo Rigondeaux und Erislandy Lara nach ihrem spektakulären Fluchtversuch (siehe taz vom 8. 8. 2007): Die würden nie wieder in den kubanischen Farben in den Boxring steigen, ließ der Comandante en Jefe verlauten. Maßlos hatte sich der bärtige Berufsrevolutionär über die Flucht „seiner“ beiden Athleten geärgert und dem deutschen Arena-Boxstall, der die beiden unter Vertrag genommen hatte, den Fehdehandschuh hingeworfen.

Typisch Castro, könnte man meinen. Aber ist der Comandante etwa wieder vollkommen hergestellt? Das fragen sich nun viele. Und: Wird er nun wieder seine Ämter übernehmen?

Eine Frage, mit der Castro auch selbst gerne aufwartet, um sie dann in schöner Regelmäßigkeit nicht zu beantworten. Er lässt sie auch in seinem Essay über die politische Zukunft des Landes offen, der exakt ein Jahr nach seiner unfreiwilligen Machtübergabe an seinen jüngeren Bruder Raúl am 31. Juli in der Parteizeitung Granma erschien. Darin ließ er die Kubaner und die Weltöffentlichkeit auch weiter im Unklaren darüber, wer heute die Entscheidungen in Kuba trifft. Bei wichtigen Entscheidungen werde er weiterhin konsultiert, schrieb der Comandante. Nur: Wirklich wichtige Entscheidungen wurden in den vergangenen zwölf Monaten gar keine getroffen. Nur angekündigt wurden sie und von vielen Menschen in Kuba sehnsüchtig erwartet.

Das weiß niemand so gut wie Raúl Castro. Er hat Missstände, Versäumnisse und strukturelle ökonomische Defizite in den letzten zwölf Monaten immer wieder angesprochen und den Medien des Landes grünes Licht gegeben, sie auch öffentlich anzuprangern. Vom gordischen Knoten, der die Landwirtschaft gefesselt halte, war da die Rede oder von den Mängeln im öffentlichen Dienstleistungs- und Transportsektor. Eine neue, wenn auch sehr partielle Offenheit hat in Havanna Einzug gehalten. Auch dadurch wird die Erwartungshaltung der Bevölkerung größer.

Es werden schließlich Lösungen gesucht für die drei großen Probleme, die die Bevölkerung seit Jahren tagtäglich in Atem halten: die Wohnungsnot, der öffentliche Nahverkehr und die latente Versorgungskrise. Raúl Castro scheint gewillt, sich diesen Problemen zu stellen: Das machte seine Rede zum 26. Juli, dem Nationalfeiertag Kubas, deutlich. Da sprach der 76-Jährige nicht nur über die Nöte der Landwirtschaft, des Sorgenkinds der kubanischen Revolution, sondern auch über das latente Missverhältnis zwischen Löhnen und Preisen. Der Lohn sei nicht ausreichend, um die Bedürfnisse zu befriedigen, gab der amtierende Staatschef der Insel zu und verwies auf die niedrige Arbeitsproduktivität und -moral, die daraus resultiere. So viel offene Kritik ist neu in Kuba, wo kaum jemand mit dem kargen Staatslohn über die Runde kommt.

Mit seiner Rede weckte Raúl die Erwartungen der Kubaner: Die wünschen sich vor allem eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen. Politische Reformen erhofft sich in Havannas Dissidentenszene dagegen kaum jemand von Raúl. Zwar ist die Zahl der politischen Gefangenen unter seiner Ägide zurückgegangen, und amnesty international bemüht sich, mit dem jüngeren Castro-Bruder in einen Dialog über die Menschenrechte zu kommen. Aber in Kuba gilt Raúl als einer der führenden Köpfe, wenn es um die Repression der Opposition geht. Sämtliche Gesprächsangebote und Initiativen kubanischer Dissidenten blieben unbeantwortet. Stattdessen gab es in den vergangenen Monaten mehrmals Angriffe auf Oppositionelle, deren Zahl auf gerade mal 2.000 Aktive geschätzt wird und deren Organisationen laut Menschenrechtsverbänden vom staatlichen Geheimdienst unterwandert sind. Der Bewegungsspielraum der Dissidenten, die keinerlei Zugang zu den nationalen Medien haben, ist daher extrem begrenzt; ihre Initiativen werden im Ausland oft stärker wahrgenommen als auf der Insel selbst.

Dort hat Raúl ein düsteres Szenario gezeichnet. Trotz positiver Wirtschaftsdaten stehe die Inselökonomie vor „extremen Schwierigkeiten“. Steigende Importabhängigkeit und niedriger Produktivität, aber auch die ständig steigende Abhängigkeit von einem einzigen Gönner – von Hugo Chávez, dem Erdöllieferanten aus Caracas – machen dem 76-Jährigen Sorgen. Dies wird zwar nicht offen zugegeben, aber die offiziellen Zahlen sprechen für sich. Zu Reformen ansetzen würde der jüngere Castro nur zu gern in der Landwirtschaft, und kubanische Wirtschaftswissenschaftler debattieren schon über die Neuverteilung des Ackerbodens. Eine derartige Revolution in der Revolution benötigt allerdings den Segen von Bruder Fidel. Doch der steht noch immer eher für Zentralismus und staatliche Kontrolle als für wirtschaftliche Öffnung.

Reformen in diese Richtung hat Kubas Máximo Líder in der Vergangenheit immer nur dann zugestimmt, wenn sein Lebenswerk, eben die Revolution, gefährdet schien. Diese Gefahr scheint sein Bruder Raúl nun zu wittern. Hinter den Kulissen soll er sich auch zur alarmierend hohen Abwanderung geäußert haben. Rund 35.000 Menschen verlassen die Insel alljährlich. Es sind zumeist die besser Qualifizierten, die gehen, um nach Perspektiven zu suchen, die sie auf der Insel nicht finden.

Es gibt also viele Gründe für Raúl, an seinen Bruder zu appellieren, den Kurs zu korrigieren. Der scheint bei Grundsatzentscheidungen nach wie vor die oberste Entscheidungsinstanz zu sein. Doch selbst die Enkel der Revolutionäre glauben nicht mehr daran, dass der Mann mit dem Vollbart noch einmal seine Ämter antreten wird. Mariela Castro Espín, die Tochter Raúls und Nichte Fidels, schließt eine Rückkehr zum Status quo von einst kategorisch aus. Ganz wie ihr Vater, tritt sie öffentlich für Reformen im ökonomischen und sozialen Bereich an. Gleichzeitig wirbt die agile Psychologin für die Stärkung der partizipativen Mechanismen und prognostiziert den Wandel in Kuba, mit oder ohne Fidel.

Raúl Castro sorgt sich um Kubas niedrige Produktivität und die Abhängigkeit vom Öl-Gönner Hugo Chávez

Solch forsche Töne zeigen, dass das ganz auf die Person Fidel Castros zugeschnittene politische System auf Kuba bereits Vergangenheit ist. Doch auch der Umbau der Institutionen zur kollektiven Führung unter Raúls Leitung scheint in den Augen seiner Tochter nur ein Übergangsmodell in eine deutlich „partizipativere sozialistische Demokratie“. Die schwebt der 45-Jährigen für die kubanische Zukunft vor. Für ihren Onkel Fidel ist dabei nicht mehr als der Platz eines Elder Statesman reserviert.

KNUT HENKEL

Fotohinweis:Knut Henkel, 41, lebt und arbeitet als freier Journalist in Hamburg. Zum Thema publizierte er 1996 das Buch „Kuba zwischen Plan und Markt. Die Transformation zur ‚dualen Wirtschaft‘ seit 1985“. Er reist regelmäßig nach Kuba.