DAUMENKINO
: „Cairo Time“

Ägypten wird zur Wunschfantasie mit sozialen Problemen

Die Zeiten, in denen Orient bevorzugt mit Sinnlichkeit assoziiert wurde, schienen vorbei. Doch nun taucht mit Ruba Naddas Film „Cairo Time“ das alte Motiv wieder auf, allerdings aus weiblicher Perspektive. Patricia Clarkson spielt die US-Journalistin Juliette, die nach Kairo reist, um ihren Mann dort zu besuchen. Doch der in wichtigen internationalen Angelegenheiten Tätige wird aufgehalten – seine Rückkehr in die Stadt von einer Mission ist ungewiss, nervös wird Juliette dadurch, aber nur wenig. Denn sie lässt sich von der Atmosphäre der Stadt gefangen nehmen, in der es so deutlich getrennte Bereiche für Männer und Frauen gibt, während sie als attraktive Weiße diese Grenzen überschreiten kann.

Der ägyptische Freund Tareq (Alexander Siddig) wird für Juliette zum Führer in einer fremden Welt, in der Frauen noch ungebrochene männliche Aufmerksamkeit zuteil wird, die erst nach einer Weile ins Zudringliche umkippt. So weiß es jedenfalls die junge Europäerin Kathryn, die unbefangen von ihrer Affäre mit einem arabischen Mann spricht und damit das Stichwort gibt für die weiteren Erlebnisse von Juliette. Der Titel „Cairo Time“ verweist schon auf eine abgeschlossene Einheit, auf eine herausgehobene Zeit, in der Dinge passieren können, für die es diesen besonderen Ort und die Umstände dieser exklusiven Klasse braucht, in der Ruba Nadda ihren Film angesiedelt hat. Die „expats“ mit ihren müßigen Tagen bilden den motivischen Hintergrund für die spezifische Selbsterfahrungen einer älteren, weißen Frau, die im Orient ihre Sinnlichkeit wiederentdeckt, indem sie ein neues Land entdeckt. Jedes Detail hat Ruba Nadda genau kalkuliert, bis zum Kameraschwenk, an dessen Ende eine nächtliche illuminierte Pyramide steht. Ägypten wird hier zur Wunschfantasie, in die sich die sozialen Probleme als eine Art Abenteuerbonus bestens integrieren lassen – den Brief einer jungen Schwangeren an ihren Geliebten zuzustellen, obwohl in diesem Land alles Augen und Ohren hat, das gibt den Kitzel der Gefahr, der erst die exquisiten Locations und die Galanterie so richtig aufwertet. Ruba Nadda, Kanadierin mit – man muss das so allgemein sagen – orientalischem Hintergrund, arbeitet so unbefangen an der Beschwörung eines alten westlichen Traums, dass man nach dem Film am liebsten gleich in einen Hamam gehen würde. BERT REBHANDL

■ „Cairo Time“. Regie: Ruba Nadda. Mit Patricia Clarkson, Alexander Siddig u. a. Kanada, Irland, Ägypten 2009, 88 Min.