Ein 88-Jähriger soll es richten

TUNESIEN I Mit rund 56 Prozent gewann Béji Caïd Essebsi die Stichwahl und wird erster frei gewählter Präsident

Essebsi versprach, den Islamisten Einhalt zu gebieten und für Stabilität zu sorgen

VON REINER WANDLER

MADRID taz | Tunesien hat den ersten frei gewählten Präsidenten. Der 88-jährige Béji Caïd Essebsi hat die Stichwahl am Sonntag gegen den bisherigen Übergangspräsidenten Moncef Marzouki mit 55,7 Prozent gegen 44,3 Prozent gewonnen.

Fast vier Jahre nach dem Sturz des langjährigen Diktators Zine el-Abidine Ben Ali hat das kleine nordafrikanische Land damit offiziell den Übergang zur Zweiten Republik und damit zur Demokratie abgeschlossen.

Vergangenen Januar wurde eine neue Verfassung verabschiedet, im Oktober das Parlament gewählt und jetzt der Staatschef. 41 Prozent der Wahlberechtigten konnten sich für keinen der beiden Kandidaten begeistern und blieben zu Hause. Beim ersten Wahlgang am 23. November hatten knapp 64 der 5,3 Millionen im Wahlregister eingeschriebenen Tunesier und Tunesierinnen ihre Stimme abgegeben.

Wahlsieger Essebsi hatte das Land als Übergangspremier zu den ersten freien Wahlen geführt. Seine vor zwei Jahren gegründete Partei Nidaa Tounes, eine säkulare Sammelbewegung, gewann vergangenen Oktober die Parlamentswahlen.

Essebsi gewann die Gunst der Wähler mit zwei Themen: Zum einen versprach er, den 2011 siegreichen Islamisten Einhalt zu gebieten und das moderne Tunesien zu verteidigen. Zum anderen will er für Stabilität sorgen.

Die Wirtschaft Tunesiens steckt in der Krise, ausländische Investoren zogen sich teilweise nach der Revolution zurück, der Tourismus bleibt aus. Die Arbeitslosigkeit liegt offiziell bei über 15 Prozent, unter jungen Menschen ist sie mehr als doppelt so hoch. Essebsi und seine Nidaa Tounes, die auf der Suche nach Koalitionspartnern für eine neue Regierung ist, wollen die Wirtschaft ankurbeln.

Außerdem verspricht Essebsi mehr Sicherheit. Im Landesinneren, nahe der algerischen Grenze, kommt es inzwischen immer wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit dschihadistischen Gruppen. Über 2.500 Tunesier sollen sich dem Islamischen Staat im Irak und Syrien angeschlossen haben.

Anders als Essebsi hat der unterlegene Moncef Marzouki keine eigene, starke Partei hinter sich. Seine ebenfalls säkulare Partei, Kongress für die Republik (CpR), unterstützte nach den Wahlen 2011 die Ennahda. Den Wählern gefiel die Zusammenarbeit mit den Islamisten nicht. Bei den Parlamentswahlen verlor der CpR daher 25 der 29 Parlamentssitze. Dass er dennoch in die Stichwahl kam, verdankt der 69-jährige Marzouki vor allem den Ennahda-Wählern. Anders als Essebsi war Marzouki in den Jahren unter Ben Ali in der Opposition. Der säkulare Gründer mehrerer Menschenrechtsorganisationen musste mehrmals hinter Gitter und ins Exil.

Das verbindet ihn mit so manchem Mitglied der religiösen Ennahda, denen es ebenso erging. Marzouki hatte bis zum Schluss gezögert, seine Niederlage anzuerkennen. Noch am Wahlabend rief Ennahda-Chef Rachid Ghannouchi Marzouki dazu auf, das Ergebnis zu akzeptieren. Alles andere würde dem Ansehen des „neuen Tunesiens“ schaden.

In El Hamma bei Gabès, einer Hochburg von Marzouki im Süden des Landes, kam es am Sonntagabend zu Ausschreitungen zwischen der Polizei und rund 300 Demonstranten, die laut örtlichen Medien aus dem Umfeld der radikalen Liga zum Schutz der Revolution kamen und Wahlbetrug witterten.