Aus Blöken wird Beißen

Auch das Unwirkliche kann nicht ohne Realität: Beim 21. Fantasy Filmfest zeitigen Klimakatastrophen und Gentechnik mal Schock-, mal Stauneffekte. Nicht-Nerds können sich am breiten internationalen Spektrum der gezeigten Filme erfreuen

Das Festival ist gewissermaßen der jährliche Sommertreff für Hardcore-Fans

VON DIETMAR KAMMERER

Ein Fantasy Filmfest, der Name sagt es ja schon, hat erstens und vor allem natürlich etwas mit Fantasy zu tun – also mit allerlei Variationen auf das Unwirkliche. Diese gewollte Abwendung von einer Verpflichtung auf die Realität bedeutet aber nicht, dass die Probleme der Gegenwart anderswo stattfinden müssten. Im Gegenteil. Ob Klimakatastrophe („The Last Winter“), Virenepidemien („Seeds of Death“), Gentechnik („Black Sheep“) oder übermächtige Medienmonopole („La Antena“): Die Filmfiguren des 21. Berlin Fantasy Filmfests teilen unsere Sorgen und Nöte und sind unsere Stellvertreter in mitunter sehr vertrauten Kontexten.

„Black Sheep“ aus Neuseeland, der das Festival eröffnet, handelt in erster Linie vom Streit zweier ungleicher Brüder, von profitgierigen Unternehmern und skrupellosen Wissenschaftlern und dann erst von genmanipulierten Killer-Schafen, deren Biss Menschen in hybride Monster mutieren lässt. Anders allerdings als im echten Leben entgehen die Bösewichter am Ende ihrer gerechten Strafe nicht. Regisseur Jonathan King setzt mit „Black Sheep“ die schöne Tradition des neuseeländischen Splatter-Films fort, die Peter Jackson zwanzig Jahre zuvor mit „Bad Taste“ begonnen hat. Die von Jackson mitbegründete Special-Effects-Firma Weta Workshop brachte den animatronischen Schafen jetzt das Blöken und Beißen bei.

Nicht auf Schock-, sondern auf Stauneffekte setzt hingegen „La Antena“ des Argentiniers Esteban Sapir. Gänzlich in dekorativem Schwarzweiß gehalten, ist der Film eine eigenwillige Hommage an den deutschen Expressionismus und das Zeitalter des Stummfilms – wobei „La Antena“ die Zwischentitel durch sichtbar im Filmraum schwebende Dialoge ersetzt. Worte sind hier materielle Dinge, und sie können genommen und gestohlen werden. In diesem Fall durch einen größenwahnsinnigen Medienmogul, der sie der sprachlosen Bevölkerung zerhackstückt und normverpackt wieder zurückverkauft, nachdem im Herzen der kulturindustriellen Maschine eine verwöhnte Göre alle Bedeutungen zertrampelt hat.

Zweitens hat ein Fantasy Filmfest natürlich auch mit Film zu tun – und das bedeutet in diesem Fall: Es zeigt sich als Schnittstelle aller möglichen Filmweiterverwertungsgelegenheiten. „Fantasy“ ist ein Inhalt, der sich in viele Medien gießen lässt. Zu den Sponsoren des nichtsubventionierten Festivals gehören unter anderem ein auf Horror und Suspense spezialisierter Pay-TV-Sender, eine Fernsehzeitschrift sowie ein Hersteller von Computerspielen. Bezeichnend auch, dass im Katalog mehr DVD-Neuerscheinungen als kommende Kinostarts beworben werden. Die große Leinwand ist nur ausnahmsweise der Ort für Gänsehaut, rollende Köpfe und Übernatürliches. Das Festival bildet gewissermaßen den jährlichen Sommertreff für Hardcore-Fans, die sich normalerweise in Videotheken versorgen.

Ohnehin sind Fantasy-Veranstaltungen etwas, das auf herkömmliche Vermittlung in der Öffentlichkeit, sprich: Zeitungsrezensionen wie diese, im Grunde genommen verzichten kann, da man sicher sein darf, seine Klientel wesentlich effizienter über wohl etablierte Nischenkanäle zu erreichen. Fanzines wie Splatting Image und renommierte Websites sind allemal die wichtigeren Multiplikatoren. Fangemeinden sind in höchstem Grade peer-organisiert – der Liebhaber von Abseitigem vertraut in Geschmacksfragen vor allem anderen Liebhabern. Internetrezensionen und die unmittelbare Keyboard-zu-Keyboard-Propaganda entscheiden über Erfolg oder Misserfolg eines Films.

Vielleicht ist das der eigentliche Grund, warum die Kurzrezensionen im Festival-Katalog Jahr für Jahr verlässlich dieselbe abgeschmackte Rhetorik des Fieser, Gewalttätiger, Außergewöhnlicher herunterspulen. Am Ende lässt sich ein echter Auskenner davon sowieso nicht blenden.

Von solchen multimedialen Verstrickungen abgesehen, bietet das diesjährige Programm drittens auch eher traditionellen Kinogehern echte Festival-Atmosphäre in den drei Kinos am Potsdamer Platz, in der Kulturbrauerei und in Mitte – schon die strikt internationale Ausrichtung des Programms ist erfreulich: Filme aus 21 Ländern haben die Kuratoren versammelt, von Japan (der Anime „Tales from Earthsea“, von Hayao-Sohn Goro Miyazaki) über Indien („Dhoom 2“) bis Norwegen und Island („The Bothersome Man“). Darüber hinaus sind es vor allem die Deutschland- und Weltpremieren von Filmen, die (noch) nicht den Weg in den regulären Verleih gefunden haben, die das Festival interessant machen: etwa der letzte Film von William Friedkin „Bug“, der vergangenes Jahr in Cannes mit dem Preis der Filmkritik ausgezeichnet wurde und hierzulande immer noch ohne Starttermin ist. Auch Fans von dem von hiesigen Filmverleihern ebenfalls sträflich ignorierten Satoshi Kon, dem Schöpfer außergewöhnlicher Anime wie „Perfect Blue“ oder „Millenium Actress“, werden wohl nur auf dem Fantasy Filmfest Gelegenheit kriegen, seinen bildgewaltigen Psychotrip „Paprika“ auf einer Leinwand genießen zu können.

15.–22.8, Cinemaxx Potsdamer Platz, Kino in der Kulturbrauerei & Babylon Mitte; www.fantasyfilmfest.com