Der Überreligiöse

Wenn Pastor Wolfgang Speck eine Andacht feiert, ist weit und breit keine Kirche in Sicht. Der Hamburger predigt hinter Stacheldraht und Gitterstäben – im Gefängnis. Seit vier Jahren arbeitet der 61-Jährige als Pastor in der Justizvollzugsanstalt Hahnöfersand.

In dem Gefängnis auf einer Elbinsel vor den Toren Hamburgs verbüßen junge Männer zwischen 14 und 23 ihre Strafe. „Es ist eine herausfordernde Arbeit“, sagt der Theologe. Mit evangelischen Gottesdiensten kommt er auf Hahnöfersand nicht weit, denn etwa 70 Prozent der 115 Häftlinge sind Muslime. „Getaufte Christen sind die absolute Ausnahme.“ Also kam der Pastor auf die Idee, den „Himmlischen Treff“ einzuführen: Regelmäßig versammelt er die Insassen zu Gesprächsrunden. Dann wird eine Stunde lang diskutiert. Über Drogen haben sie schon debattiert und über das „Männerbild Macho“. Aber auch aktuelle Themen stehen auf der Liste, etwa die Flüchtlingsproblematik oder der Terror des IS.

Viel Wert legt der Theologe auf den liturgischen Beginn des „Himmlischen Treffs“. Erst singt Speck „Du Gott des Friedens“ – auf Arabisch und auf Deutsch. Außerdem zitiert er eine Stelle aus der Bibel. Eine inhaltlich ähnliche Sure trägt dann ein Häftling aus dem Koran vor, bevor Speck sie auf Deutsch vorliest. Ständig muss in viele Sprachen übersetzt werden, sowohl von den Häftlingen als auch vom Pastor. Mit den „Himmlischen Treffs“ trifft Speck offenbar den Nerv der Insassen. Über 90 Prozent würden regelmäßig teilnehmen – und das freiwillig. „Das zeigt, dass sie durchaus religiös interessiert sind.“

Neben den Diskussionen in der Gruppe führt Seelsorger Speck viele Einzelgespräche. Manche würden ihn gleich beim ersten Treffen fragen, ob sie wegen ihrer Taten in die Hölle kommen. Dann nimmt Speck ihnen zunächst die althergebrachte Vorstellung vom Fegefeuer und macht deutlich, dass das Verhalten zu Lebzeiten durchaus Einfluss auf das Leben vor und nach dem Tod hat.  (epd)