Die Rache der Beglückten

Die Aktion „Wilhelmsburger Freitag“ will Kunst in den Hamburger Problemstadtteil bringen, die sich nicht in Galerien versteckt, sondern „die Nachbarn erreicht“. Manchmal schlagen die Nachbarn dabei zurück. Doch die Macher bleiben optimistisch

Das Gespräch mit dem Künstler gestaltet sich schwierig. Der wolle keine Interviews mehr geben, der wolle arbeiten, sagt die Kuratorin der Kunstaktion „10° Kunst – Wilhelmsburger Freitag“, doch dann kommt es doch zu einem telefonischen Kontakt. Er baue seine Kirche aus Restholz, sagt Thorsten Passfeld, das finde er in Containern oder in Kistenfabriken, Fenster gebe es vielleicht aus Acrylglas, vielleicht auch nicht. 120 Quadratmeter groß soll die Kirche werden und sieben Meter hoch, „das ist ja schließlich keine Gartenlaube“.

Nach der „Kneipe zum falschen Freund“ und der „Bahnhofstoilette zum letzten Anfang“ ist die „Kirche des guten Willens“ die dritte Restholz-Installation des Hamburger Künstlers, die existenzielle Fragen stellt. Er finde, sagt Passfeld, dass man bei dem Thema nicht viel machen müsse, es reiche eine Atmosphäre, in der man nachdenken könne über den guten Willen, viel mehr möchte er dazu nicht sagen.

„Kirche des guten Willens – wie kann man ein besserer Mensch sein?“ lautet der volle Name von Passfelds Projekt, das derzeit im Hamburger Problembezirk Wilhelmsburg entsteht. Es sei eine Riesen-Baustelle, mitten in einem Wohngebiet, die Anwohner könnten aus ihren Fenstern zuschauen, wie die Kirche entsteht, sagt Kuratorin Britta Peters. Die Kirche sei, so viel könne man bereits erkennen, eine Mischform aus allen möglichen Arten von religiösen Bauten mit kleinen Türmchen dran.

Ursprünglich sei Passfelds Projekt als Plattform gedacht gewesen, auf der sich die vielen religiösen Gemeinschaften des multikulturellen Stadtteils hätten begegnen können, sagt Peters. Die Kulturwissenschaftlerin wohnt in Wilhelmsburg und hat im Vorfeld versucht, die Religionsgemeinschaften anzusprechen – mit unterschiedlichem Erfolg. Die Amtskirchen hätten auf die Sommerferien verwiesen und gefragt, was das überhaupt soll. Die Muslime seien eher offen gewesen. Richtig begeistert aber waren die Mormonen und evangelikalen Freikirchen. „Es bestand die Gefahr, dass die das umfunktioniert hätten“, sagt Peters.

Verordnet worden ist die ganze Aktion vom Hamburger Senat, der den Stadtteil Wilhelmsburg in einer groß angelegten Offensive aufwerten will. Vom Senat stammt auch der Titel „10° Kunst“ – er soll ein Label für alle Kunstaktionen im öffentlichen Raum der Stadt werden, „10°“ steht dabei für den Längengrad, auf dem Hamburg liegt. Den Untertitel „Wilhelmsburger Freitag“ dagegen hat sich Kuratorin Peters ausgesucht – es ist der Titel eines neorealistischen Films von 1962 über ein Wilhelmsburger Arbeiterpaar.

„Wie bringt man Kunst nach Wilhelmsburg?“, hat sich Peters gefragt und Projekte angeleiert, die alle direkt im Stadtteil sichtbar werden. So fährt in dem Projekt „Ganz wie zu Hause“ ein „bedeutungserzeugendes Taxi“ durch die Straßen und versucht, die Bürger mit einer Mischung aus Heimkino, Hörspiel und Essayfilm zu erreichen. In „15 x 75m. Hingucken – Weggucken“ benutzt eine Künstlergruppe aus Istanbul die Brandwand auf der Rückseite eines Parkhauses, um mit den Anwohnern über Mauern in den Köpfen zu diskutieren. In „Twin Peaks“ errichtet eine ebenfalls aus Istanbul anreisende Künstlerin künstliche, mit Luft gefüllte Hügel auf einer Mülldeponie, und in „Pictures“ wird eine Hochhauswohnung in ein Kino mit 35-Millimeter-Projektor verwandelt. Bei dem versprochenen „Blockbuster“ handelt es sich um den Kinofilm „Die Simpsons“.

„Im öffentlichen Raum hat hier bisher wenig stattgefunden“, sagt Kuratorin Peters. Ihre Frage sei gewesen: „Wie erreiche ich meine Nachbarn?“ So gesehen findet sie Passfelds „Kirche des guten Willens“ schon allein deswegen gelungen, weil der Künstler „am Tag mit 50 Leuten spricht“. Alle wollen wissen, was er da macht. Bessere Menschen brauchen sie dann gar nicht mehr zu werden. DANIEL WIESE

„10° Kunst – Wilhelmsburger Freitag“: 1.–23. September, Hamburg-Wilhelmsburg. Informationen unter www.iba-hamburg.com