berliner szenen Nicht nur für Lyriker

Die Königsposition

Wir saßen auf der Dachterrasse im achten Stock und guckten von oben auf Kreuzberg herunter. Der Ausblick war beeindruckend. In echt hatte ich so einen Ausblick nur einmal vom Dach eines Shopping-Centers in Bangkok gesehen – aber da war es noch höher gewesen. Plötzlich hatte Berlin jedenfalls eine richtige Skyline mit vielen Türmen, auf und ab. Es fehlte eigentlich nur noch die Silhouette eines Riesenrads am rechten grünen Rand des Panoramas.

Einzelne Menschen konnte man von hier aus nicht sehen. Selbst mit Fernglas hätte man nur Menschen auf niedriger gelegenen Terrassen sehen können. Auf einer dieser niedrigeren Terrassen wohne B., die für Zitty schreibe, sagte A., der sein Fernglas vor allem benutzte, um Nachteulen zu beobachten, deren Einflugschneise direkt über dem Haus lag.

Einerseits war ich ganz begeistert von dem Ausblick, der Stille und der schönen Küche, die A. hier oben hatte. Andererseits war dies Herausgehobensein auch komisch; der Mangel an Ablenkung gespenstisch, dies nicht mehr Teil einer gesprächigen Straße sein, die einen sonst ständig nervte, dies von oben nach unten gucken, dies irgendwie abstrakte Verhältnis zur Stadt. Natürlich konnte man sich hier oben viel besser konzentrieren; der frühe Morgen musste der totale Hit sein und die Tage endeten mit tollen Sonnenuntergängen. Der Einwand, eine solche Königsposition sei nur was für Lyriker und korrumpiere das Denken, bedeutet nicht viel. „Er stand auf seines Daches Zinnen / und schaute mit beglückten Sinnen / auf das besetzte Samos hin …“

Ich beneidete A. Die Zimmer des Freundes waren allerdings sehr warm. An heißen Tagen musste es die Hölle sein.

DETLEF KUHLBRODT