Fehlende Schulräume verhindern Schulträume

In Berlin könnte die erste humanistische Grundschule Deutschlands entstehen. Kinder sollen dort spielerisch und ohne Noten unterrichtet werden. Eigentlich wollte die Schule bereits in zwei Wochen eröffnen – die Nachfrage ist groß genug. Doch dem Projekt fehlt bisher ein geeignetes Gebäude

VON KATHI PREPPNER

„Was hat Mathe mit meinem Leben zu tun?“, seufzt so mancher Schüler. Die Kinder an der ersten humanistischen Schule Deutschlands werden sich das wahrscheinlich nie fragen. Denn alles, was sie lernen, hat einen Bezug zu ihrer Lebenswelt: Statt mit Knöpfen zählen sie, wie viele Geschwister sie haben, geschichtliche Ereignisse stellen sie in einem Rollenspiel nach. „Das ist einfach das pralle Leben“, sagt Jana Friedemann, eine Lehrerin, die sich für das Projekt einsetzt.

Fast hätte die 41-Jährige schon ab dem in zehn Tagen beginnenden Schuljahr an der neuen Schule unterrichten können. Die Nachfrage der Eltern in den 22 Berliner Kindertagesstätten des Humanistischen Verbands Deutschlands (HVD) war so groß, dass der Verband sich entschloss, Träger einer humanistischen Schule zu werden. Das Konzept für die lebenskundliche Schule wurde im Februar genehmigt. Doch es scheitert an den Räumen: Ein geeignetes Gebäude – aus Kostengründen möglichst im Besitz des Landes – hat der HVD bisher nicht gefunden. Darum wird die neue Ganztagsschule ihre Pforten nun voraussichtlich erst zum Schuljahr 2008/09 öffnen.

„Für das Bezirksamt hat natürlich die staatliche Schule Priorität“, sagt Lioba Zürn-Kasztantowicz, Schulstadträtin von Pankow, mit der die Humanisten in Verhandlung stehen. Da haben die freien Träger schon mal das Nachsehen, wenn ein passendes Gebäude freisteht. Diese Politik wird sich letzten Endes auch auf den Etat des Trägers und den Geldbeutel der Eltern niederschlagen. Denn bis die Schule nach Ablauf der sogenannten Wartefrist im Schuljahr 2012/13 vom Land finanziert wird, müssen die Eltern ein sozial gestaffeltes Schulgeld von durchschnittlich 100 Euro im Monat bezahlen.

Geboten wird ihnen dafür ein Schulkonzept, das verschiedene reformpädagogische und gesellschaftsphilosophische Ideen miteinander vereint. „Mir gefällt, dass bei diesem Ansatz das Kind wirklich im Mittelpunkt steht“, sagt Christoph Jungmann. Sein Sohn, Simon Fabian, wird 2009 eingeschult – voraussichtlich in die humanistische Schule. Gemäß den Grundsätzen des Humanismus will sich die neue Schule den Kindern zu Selbstständigkeit und eigener Urteilsfähigkeit verhelfen. Themen wie Kinderrechte, Alter und Tod oder Umweltschutz sollen unter nichtreligiösen, ethischen Gesichtspunkten diskutiert werden – Glauben kommt in der Weltanschauungsschule im religionskundlichen Unterricht zur Sprache. Die Schüler können dabei auch eigene Themen einbringen: „Wenn zum Beispiel in einer Familie der Opa gestorben ist, kann das in der Schule zum Thema gemacht werden“, erklärt Manfred Isemeyer, Geschäftsführer des HVD Berlin. „Uns geht es besonders um Werteerziehung.“

Jana Friedemann, zurzeit Musik- und Geschichtslehrerin an einer staatlichen Schule, hat bereits Lebenskunde unterrichtet. Am Konzept der humanistischen Schule gefällt ihr besonders, dass jedes Thema fächerübergreifend betrachtet wird: „Wenn wir zum Beispiel in Geschichte über Ritter sprechen, behandeln wir auch mittelalterliche Musik und Kunst oder den Begriff der Ehre.“ Mathe, Deutsch und eine Fremdsprache sollen auf diese Weise jeden Tag geübt werden. „Dabei richten wir uns nach dem Rhythmus der Kinder“, erklärt die dreifache Mutter. Ein Tag an der humanistischen Schule beginnt morgens um halb acht mit einem lockeren Tageseinstieg, dann folgen mehrere Freiarbeitsphasen sowie Ruhe- und Spielpausen bis nachmittags um fünf.

Dabei kümmern sich immer zwei Lehrer um eine Lerngruppe. „Zwei Pädagogen können besser auf die Kinder eingehen und sich auch gegenseitig reflektieren“, so Jana Friedemann. Statt gewöhnlichen Zeugnissen gibt es am Ende des Schuljahres eine schriftliche Einschätzung der Lehrer zu den Lernfortschritten.

Vorerst hat der HVD nur eine Grundschule beantragt, doch das Anschlusskonzept für die Klassen 7 bis 13 soll bald dem Senat vorgelegt werden. Bis dahin ist vielleicht auch ein geeignetes Gebäude gefunden. „Der Anfang ist schon ziemlich schwer“, sagt Jana Friedemann. Das ist wohl auch so eine Weisheit, die das Leben lehrt.