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Archiv-Artikel

Die Glücksspirale

Es ist kein Wunder: Warum alle Sender Quote mit erfüllten Träumen machen wollen

So ein Glück. So viel Glück! Und es wird immer mehr. Bald werden es die Fernseher nicht mehr fassen können, und es wird herausquellen aus den Apparaten, eine dicke, zähe Masse, die sich über Fußböden und Möbel ergießt, das Treppenhaus hinunter, auf die Straße, die ganze Stadt bedeckt, alle Städte, alle Wiesen, alle Autobahnen. Alles. Wie beim Töpfchen, das nicht mehr aufhören wollte, Brei zu kochen. Wie es wohl aussieht, dieses Fernsehglück? Pink mit grünen Streifen? Man wird es abwarten müssen. Fest steht nur: Es wird sehr klebrig sein.

Klebriges Glück. Noch sind die Autobahnen frei davon. Die Bildschirme aber schon bis an den Rand gefüllt. Vera Int-Veen gießt immer noch ein bisschen mehr hinein, wenn sie mit Herz hilft. Kai Pflaume, wenn er einen Traum erfüllt und RTL2 ganz viel, wenn es ein neues Zuhause und damit – angeblich – ein neues Leben verschenkt. Man kommt gar nicht nach mit dem Mitfreuen. Manchmal hilft nur Zappen, wenn man keinen Höhepunkt verpassen will. „Da kann ich ja jubeln, da kommen einem ja die Freudentränen,“ sagt Opa Udo, als RTL ihn das Ergebnis von Tine Wittlers Einsatz in seinen vier Wänden bewundern lässt. „Herrlich alles, wunderbar.“

Der Glücksvollzieher von Kabel Eins muss sich zur selben Zeit ein bisschen mehr anstrengen. „Uwe ist im 7. Himmel,“ erklärt er den Zuschauern. Diese Erklärung ist notwendig. Der Beglückte, der für einen geistesgegenwärtigen, lebensrettenden Einsatz vom Sender mit vielen Überraschungen belohnt wird, ist nämlich ein ziemlich zurückhaltender Typ. Er freut sich mehr nach innen. Da muss der Moderator ran: „Das hat Spaß gemacht!“, begeistert er sich stellvertretend.

Oliver Geissen braucht gar keine besondere Begründung, um Leuten eine Freude zu machen. Er beschenkt sie einfach so. Eine 7-Jährige mit Rollschuhen, werdende Eltern mit einem Zwillingskinderwagen. Zwei Teenies dürfen eine Soap-Darstellerin kennenlernen, ein Kegelclub bekommt 1.111 Euro, und ein liebevoller Vater kann demnächst eine Fahrt im Fesselballon erleben. Surprise, surprise.

„Ich träume ja davon, dass ich mal in einem Kaufhaus das Porzellanangebot zertrümmern darf,“ sagt meine Freundin Ulrike versonnen. Keine Chance. Sie hat da etwas missverstanden. Um Zerstörung soll es ja nun gerade nicht gehen. Sondern um Aufbau, Energie, Lebensmut. „Solche Sendungen machen den Aufschwung spürbar,“ spöttelt Marianne.

Tun sie das? Ich glaube nicht. Solche Sendungen zeigen, wie schlecht es vielen Leuten inzwischen geht. „Der große Traum – er ist wahr geworden,“ sagt der Glücksvollzieher und spricht vom nachmittäglichen Ausflug eines 42-Jährigen an eine Kletterwand. Wenn eine Redaktion einen solchen Satz für sendefähig hält, dann werden Kinder wohl demnächst im Fernsehen den sehnlichen Wunsch erfüllt bekommen, einmal im Leben einen riesigen Eisbecher essen zu dürfen. Oliver Geissen ist da schon ziemlich dicht dran. Er hat eine vierfache Mutter mit einem gigantischen Kuchenbüfett erfreut.

Immerhin: Es gibt Hoffnung. Die Show des RTL-Allround-Moderators erreichte bei der sogenannten werberelevanten Zielgruppe nur magere 11 Prozent. Das klingt gut. Die absoluten Zahlen mindern allerdings die Erleichterung: 2,54 Millionen schauten zu. 2,54 Millionen! Was geht in den Leuten vor?

Im Märchen von den Sterntalern geht es um ein kleines Waisenmädchen. Das war so arm, dass es kein Kämmerchen mehr hatte, darin zu wohnen, und kein Bettchen mehr hatte, darin zu schlafen. Nur die Kleider auf dem Leib besaß es noch und ein Stückchen Brot, das ihm ein mitleidiges Herz geschenkt hatte. All das hat es dann an Bedürftige verschenkt, die kein Hartz IV bekamen. Dann fielen die Sterne vom Himmel, und es waren lauter blanke Taler. Das Mädchen war reich für sein Lebtag. Sehr schön. Sehr anrührend. Sehr klebrig. Aber immerhin: zu Zeiten der Gebrüder Grimm mussten es für ein Wunder schon Taler sein. Inzwischen tut’s auch Blech. Ein trauriges Glück.

BETTINA GAUS über FERNSEHEN

Fragen zum Blech? kolumne@taz.de Morgen: Jan Feddersen PARALLELWELTEN