Ein ganzer Stadtteil am Pranger

MASSENSCHLÄGEREI Polizei-Anwalt bezeichnet Hamburg-Neuwiedenthal im Prozess als „mafiöses Ghetto“

Der Hamburger Landgerichts-Prozess um die Massenschlägerei in Hamburg-Neuwiedenthal, bei der am 26. Juni 2010 der Polizist Günter J. Schädelbrüche erlitt, ufert immer mehr aus. Der Anwalt Andreas Karow, der den Nebenkläger und Einsatzleiter Oliver P. vertritt, der bei dem Tohuwabohu nur leicht verletzt worden ist, stellt immer neue Beweisanträge und schreckt auch vor einer Stigmatisierung der Bewohner des südlichen Stadtteils nicht zurück.

Für Karow kann der Hauptangeklagte Amor S., der Günter J. getreten haben soll, nur deshalb nicht überführt werden, weil in dem „Ghetto“ Neuwiedenthal „mafiöse Sozialstrukturen“ herrschten. Seit Tagen verteilt Karow „Fahndungsaufrufe“ mit 1.000 Euro Belohnung, um Amor S. der gefährlichen Körperverletzung an Günter J., – den Karow gar nicht vertritt – zu überführen. Dabei sei er auf eine „Mauer des Schweigens und der Lügen“ gestoßen. „Die Ausländer“ würden in einer Struktur aus „Macht und Hierarchie“ Amor S. schützen und die „rechtschaffenen Deutschen“ würden aus Angst vor Vergeltung schweigen.

Im Zuge eines Beweisantrags verlas Karow einen Spiegel-Artikel aus dem Jahre 1997 über das dortige Wirken von Straßengangs, nachdem sich ein Jugendlicher nach einer Abzocke vor die S-Bahn geworfen hatte. Selbst die Polizei hätte vor ihnen Angst gehabt. Eine Gang hatte damals Amor S. angeführt. „Die Verhältnisse sind heute genauso“, behauptete Karow.

Günter J.s Anwalt Walter Wellinghausen distanzierte sich von Karows verzerrtem Bild von Neuwiedenthal. Ein im Gerichtsaal anwesender Sozialarbeiter des zuständigen Jugendamtes Hamburg-Harburg empfand, Karows Ausführung gingen an den Realitäten vorbei und seien eine „Diffamierung“ der Sozialarbeit. „In 15 Jahren hat sich viel getan“, sagte er. Es herrschten „normale soziale Verhältnisse.“ KAI VON APPEN