Gott sei Dank, das war nur Hamlet

KEEP ON TALKING Panik und Slapstick liegen dicht beieinander in „The day before the last day“ von der israelischen Regisseurin Yael Ronen und ihren forschenden Schauspielern. Damit eröffnet die Schaubühne ihre Spielzeit

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Wer Genaueres über Datum und Ort des bevorstehenden Weltkrieges wissen möchte, der eventuell zu treffenden Vorbereitungen wegen, der sei gewarnt: Darüber wird zwar viel geredet in „The day before the last day“, der neuen Produktion von Yael Ronen und ihrem forschendem Schauspielerteam. Aber kurz bevor der Futurologe Rotem Keinan zu den Details seiner Prognosen und Theorien kommt, versagt die Powerpoint-Präsentation, die Leinwand stürzt zusammen, die Flipchart auch, und schließlich fällt der Strom aus. Kleine Katastrophen gehen großen eben voraus, diesen Schluss könnte man daraus ziehen, wäre man nicht zu sehr mit Lachen beschäftigt.

Slapstick und Panik, sie treffen sehr schnell zusammen in „The day before the last day“ in der Schaubühne. Das ist sicher keine schlechte Strategie, die Angst vor den ganz großen Themen wie religiöser Fundamentalismus, Finanzkrise und kriegerische Konflikte erst mal zu bannen.

Das Stück über die Erforschung der Zukunft ist das zweite, das die Regisseurin mit einem Team aus Schauspielern aus Israel und aus Deutschland entwickelt hat. Sie haben dafür im Sommer in Israel recherchiert, geprobt und Texte geschrieben, Checkpoints und Siedler besucht, mit rechten Hardlinern und linken Kämpferinnen geredet. Wieder spielt die Herkunft des Einzelnen eine große Rolle. Sich gegen einengende Zuschreibungen zu Wehr setzen zu müssen, diese Erfahrung verbindet die Spieler. Eltern am Telefon schalten sich zu. „Spielst du etwa mit Arabern Theater?“, fragt Orits Mutter und ertränkt den aufklärerischen Furor der Tochter in ihrer vor Besorgnis zitternden Stimme. Orit möchte sich ihren palästinensischen Mitspielern gegenüber vorurteilsfrei geben. Bei der deutschen Schauspielerin Maryam Zaree, in Teheran geboren und in Frankfurt aufgewachsen, dagegen sind ihren guten Vorsätze beiseite gefegt und die Klischees sitzen locker. So beharkt man sich der gemeinsamen Erfahrung zum Trotz als Repräsentant dessen, was jeder für sich gerade durch die Mitarbeit an dieser Produktion doch überwunden zu haben glaubt.

Sind die Religionen das Böse, drängen Fundamentalisten die Welt in den nächsten Weltkrieg? Oder doch eher Handelsketten wie H & M, mit ihrer hemmungslosen Ausbeutung in Billiglohnländern und ihrer aggressiven Konsumwerbung hier? Sind Geld und Waren nicht an die Stelle der Götter getreten? Und braucht man nicht auch dann Erlösung? Die Darsteller bombardieren sich mit diesen Fragen, in ihren Antworten aber werden sie blitzschnell zu Figuren, zu Predigern, Beichtern, Missionaren, Propheten und Bekennern. Deren Rhetorik zwar nicht selten beim Ziel einer offenen Gesellschaft ansetzt, sich dann aber blitzschnell zurückkatapultiert in archaische Muster der Ausgrenzung. Und das am liebsten kompatibel für die neuen Medien, YouTube, Facebook und Co. Wie der religiöse Wahn durch die virtuelle Gemeinde tobt, das stellen sie großartig dar.

Eine berechtigte Frage ist: Muss ein aus deutschen und israelischen Schauspielern gemischtes Ensemble sich immer die Identitätsfrage stellen? Könnten sie nicht einfach Lessing oder Shakespeare spielen? Das könnten sie vielleicht, aber Yael Ronen hat sich an der Schaubühne Berlin und am Habima National Theatre aus Tel Aviv genau diese Performer ausgesucht, weil sie Lust haben auf den Diskurs der Identität, auch gerade da, wo er peinlich wird. Wo sie aus ihrer Haut schlüpfen möchten, aber nicht können. Und weil man spürt, dass jeder einzelne der Mitspielenden sich haftbar macht für das Stück, rechnet man dies ihnen auch an.

Es gibt Momente, nicht wenige, da holen reale Ereignisse das Stück ein, der im April vor seinem Theater in Jenin erschossene Theaterleiter Juliano Mer Khamis erscheint einem Mitspieler als Gespenst. Am Ende ist von einem dänischen Terroristen die Rede, er habe einen Schauspieler der Schaubühne erschossen, lesen die Mitspielenden in Twittermeldungen. Kommt jetzt Anders Behring Breivik ins Spiel, fragt man sich bang? Nein, der dänische Terrorist war nur Prinz Hamlet aus dem Theatersaal nebenan, der Bühnentod von Niels Bormann bleibt ein Bühnentod. In die Erleichterung darüber aber mischt sich das mulmige Gefühl, dass die realen Mörder ihre innere Aufrüstung wohl im Stücktext wiedergefunden hätten, wenn auch nicht mit diesem kabarettistischen Unterton.

■ Wieder in der Schaubühne am 3., 4. und 30. September