Kommentar von Paul Schobel
: Schräger Segen

Gottes Segen kommt dem Bahnhof gelegen … Der Segen ist in der Bibel eine echt starke Nummer, bedeutet er doch, dass mit Gottes Hilfe gelingen kann, was wir ehrlich erbitten und worauf wir sehnlich hoffen. Ob er uns letztlich zuteilwird, bleibt allerdings Chefsache. Claus Schmiedel ist zwar Chef, Chef der SPD-Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg. Er scheint sich sicher zu sein, dass über dem umstrittenen Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 der Segen Gottes liegt, sonst würde er es nicht in die Welt hinausposaunen. Ist er Gottvater? Den stelle ich mir etwas anders vor. Woher dann die Gewissheit, dass Gott seine segnende Hand ausgerechnet über einen Tiefbahnhof legt? Ist sie dem Fraktionsvorsitzenden in einer nächtlichen Vision zugewachsen? War die SPD-Fraktion auf Exerzitien? Sie hätte immer wieder allen Grund, in sich zu gehen. Aber als religiöse Bewegung ist sie mir bislang noch nicht aufgefallen.

Damit nicht genug: Im gleichen Atemzug bezeichnet der Fraktionsvorsitzende bei der Kundgebung der S-21-Befürworter selbige als „die Guten“. Hier schwenkt einer das Weihrauchfass – aber in die falsche Richtung. Böcke von den Schafen zu scheiden ist eigentlich Sache des himmlischen Gerichts und liegt nicht im Ermessen eines sterblichen Genossen. Schon wieder eine Amtsanmaßung. Abgesehen davon, dass er offensichtlich für sein jüngstes Gericht die falschen Kriterien zugrunde legt. Zu den Auserwählten zählt im Neuen Testament nur, wer Nackte bekleidet, Hungernde sättigt, Kranke besucht und Gefangene befreit. Geplant ist aber nicht die Erweiterung der Bahnhofsmission, sondern der Bau eines unterirdischen Hauptbahnhofs. Der hat mit den biblischen „Werken der Barmherzigkeit“ nicht viel am Hut, zumal man dort die oben erwähnte Kundschaft kaum dulden wird.

Nochmals zurück zum verheißenen Segen, der angeblich über den Tiefbahnhof zu liegen kommt. Gott wirft mit Segen nicht um sich. Er wählt sich in der Bibel seine „Projekte“ sorgsam aus. Käme dafür Stuttgart 21 überhaupt in Frage? Auch ein Pfarrer ist natürlich nicht der liebe Gott, gibt aber doch zu bedenken: Sehr segensreich war sicher nicht, was die Befürworter bislang an Tricks, an Tarnen und Täuschen für dieses Projekt aufgeboten haben: falsche Zahlen bis zum Überdruss, fragwürdige Gutachten, Verharmlosung gewaltiger Risiken, eine haarsträubende Wirtschaftlichkeitsrechnung, undurchsichtige Verträge und am Ende gar noch brutale Gewalt. Kaum zu glauben, dass Gott, soweit ihn die Heilige Schrift kennt, daran viel Freude hätte. Wo einseitige Interessen im Spiel sind, fährt er in den biblischen Geschichten schon mal gewaltig drein, statt seine milde Segenshand zu öffnen.

Mir scheint, der Segenswunsch des SPD-Fraktionsvorsitzenden will das letzte fromme Mütterlein, das noch zaudert, von Stuttgart 21 überzeugen. Denn möglicherweise kommt sie ja doch, die Volksabstimmung. Dann zählt im Endergebnis jede Stimme. An zweiter Stelle geht's Claus Schmiedel wohl darum, die bahnhofskritischen Christinnen und Christen zu erschrecken, sie mögen doch bitte von „Prozessionen“ und „Kreuzwegen“ Abstand nehmen. Dieser Schuss geht ins Leere: Die biblische Botschaft ist immer politisch. Politik aber ist nicht automatisch religiös. Wer im Streit um den Bahnhof religiöse Symbole bemühen muss, dem sind die Argumente ausgegangen.

Die kritische Christenheit wendet sich angesichts dieser schrägen Bahnhofs-Theologie mit Grausen. Gott hat auf dem „Roten Punkt“ eines Bauprojekts so wenig zu suchen wie einst auf den Koppelschlössern deutscher Soldaten.

Der katholische Pfarrer Paul Schobel arbeitete 38 Jahre in der Betriebsseelsorge der Diözese Rottenburg