piwik no script img

Wilhelm Tacke empfiehltBesuchen Sie das Rathaus!

In diesen schweren Zeiten, wo die Bundesländer von Baden-Württemberg bis Sachsen Bremen empfehlen, den Gürtel um eine Milliarde Euro enger zu schnallen, und der Bund rät, über Fusionen nachzudenken, sollten wir uns intensiv Roland wie Rathaus ansehen.

Haben unsere Vorfahren denn schließlich umsonst Urkunden gefälscht, um das Regiment des Erzbischofs über die Stadt zu entsorgen? Haben sie etwa umsonst eine dicke Lüge in Rolands Wappen gehämmert, nach der Karl der Große der Stadt Rechte gegeben habe, obwohl doch jeder Mann und jede Frau wissen, dass zu Karls Zeiten allenfalls ein Fischerkaff den Weserrand zierte, aber keine Stadt? Und hat der Rat ganz umsonst den Kaiser und die sieben Kurfürsten ans Rathaus gepappt, die dem Erzbischof ein deutliches „Go home!“ – heißt: nach Bremervörde – zuriefen und die Ambitionen des Rats auf Alleinregierung unterstrichen? Und haben unsere Altvorderen denn – trotz republikanischer Gesinnung – vergeblich alle Kaiser in den Himmel gehoben, indem sie sie an die Decke der Oberen Halle des Rathauses zwischen die Sterne pinseln ließen? Und vor allem: Haben sie denn ganz umsonst einen von ihnen, den Kaiser Ferdinand III., anno 1646 mit umgerechnet fünf Millionen Euro bestochen, damit der schriftlich behauptete, Bremen sei schon immer Freie Reichsstadt gewesen? Eine Behauptung übrigens, von der auch der Kaiser wusste, dass sie gelogen war. Dass die Bremer dem Kaiser dabei auch stachen, dass dieses Geld – deshalb – stank, sei nicht verschwiegen: Sie packten es nämlich in Fässer und legten Fische oben drauf.

Nein, nein. Das kann nicht alles umsonst gewesen sein. Und was von Niedersachsen zu halten ist, erzählt uns ein Portal in der Oberen Rathaushalle. Das bekam der Rat von einem hannoverschen Herzog geschenkt, der Bremen erfolgreich angepumpt hatte, statt einer Rückzahlung. Und war es nicht auch ein Niedersachse, der jüngst mit dem Kanzlerbrief wedelte, als er Bremens Stimme im Bundesrat brauchte, mit dem Papierchen aber (fast) nur heiße Luft erzeugte?

Alles klar? Wenn unsere Vorfahren der drohenden Rekatholisierung im 16. Jahrhundert mit dem Slogan „Lieber schwedisch als katholisch!“ begegneten, sollten wir heute unisono in den Ruf ausbrechen: „Lieber pleite als niedersächsisch!“ Besuchen Sie das Rathaus also lieber schnell, so lange es noch der Regierungssitz eines selbstständigen Bundeslandes bzw. der Freien Hansestadt ist. Dass die Hanse schon seit 1774 nicht mehr existiert, vergessen wir ganz schnell.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen