Das doppelte Peerchen

MUSIKTHEATER Das Bremerhavener Stadttheater feiert Weihnachten traditionell mit einer Opernpremiere. Dieses Jahr gab es einen spartenübergreifenden „Peer Gynt“

Die Intensität, „die Anarchie, dieses Lebenwollen, dieses Rauswollen aus der Enge“ und das „Über-Grenzen- Gehen“, die Mokrusch an der Figur des Peer Gynt interessieren, bleiben Behauptung

VON ANDREAS SCHNELL

In Peer Gynt steckt viel vom modernen Menschen. Er ist durchaus auch ein Kapitalist, der die Welt erobern will, ein Größenwahnsinniger, der es unter Kaiser gar nicht macht. Aber er ist eben auch ein radikaler Selbstverwirklicher, was alles durchaus mehr miteinander zu tun hat, als es scheinen mag, aber ganz dasselbe dann doch nicht. In Bremerhaven ist er nun vor allem auf der Suche nach sich selbst, fast drei Stunden lang, um am Ende das Nichts zu finden. Gynts Eroberungszüge in die weite Welt, Afrika, Orient, Okzident, das alles findet eher als Andeutung statt. Seine teils bizarren Liebesabenteuer sind da schon viel wichtiger.

Das zu erzählen, hat Ulrich Mokrusch, im Hauptberuf Intendant des Bremerhavener Stadttheaters, einiges aufgefahren: Schauspieler, Opernsängerinnen, Sergei Vanaevs Ballettcompagnie, die Bremerhavener Philharmoniker, den Opernchor. Und eine Rockband. Schließlich gehört der Pop-Star heute zum etablierten Repertoire jugendlicher Identitätssuche.

Weshalb Peer Gynt, dem es eben nicht allein um materielle Reichtümer geht, hier eben auch einmal das Jugendidol geben darf. Sebastian Zumpe, der den Helden spielt, wird auch nach all seinen Abenteuern in Bremerhaven nicht weise. Dass ihm am Ende der Knopfgießer lediglich mitzuteilen hat, dass sein Streben im Mittelmaß resultiert, ist folgerichtig: Wo eine ganze Gesellschaft danach giert, unverwechselbares Individuum zu sein, sind sich ihre Mitglieder dann eben doch wieder sehr gleich. Ganz nach oben wollen sie alle. Der Weg dorthin, in Bremerhaven ein grüner Hügel (Ausstattung: Okarina Peter, Timo Dentler), vielleicht auch ein Deich, was zur Stadt am Meer passen würde, ist abschüssiges Gelände, auch wenn es noch so einladend grün daherkommen mag. Und das Grün kann einem Teppich gleich den Strebenden eben auch, wie es hier später geschieht, unter den Füßen weggezogen werden, um eine nüchterne Holzfläche freizugeben, auf der es auch nicht mehr Halt gibt.

So schlicht das Bild, so opulent, wie angedeutet, das Geschehen. Schon gleich zu Beginn wird Peer Gynt als Doppelwesen eingeführt, den einen gibt der Schauspieler Sebastian Zumpe, den anderen der Tänzer Oleksandr Shyryayev, die beiden umtänzeln sich, kreisen umeinander spiegeln sich – die Verdoppelung des Individuums. Immer wieder wird Shyryayev dem hochfahrenden Helden den Spiegel vorhalten, dem Zumpe allerdings kaum gewachsen ist. Dazu spielen die Bremerhavener Philharmoniker unter der Leitung von Ido Arad Griegs Bühnenmusik, mal als Zwischenspiel, mal als atmosphärische Untermalung, mit dramatischem Gespür.

Die Intensität, „die Anarchie, dieses Lebenwollen, dieses Rauswollen aus der Enge“ und das „Über-Grenzen-Gehen“ allerdings, die Mokrusch an der Figur des Peer Gynt interessieren, wie er im Programmheft zu Protokoll gibt, sie bleiben eher Behauptung. Selbst hoch emotionale Szenen wie der Tod der Mutter geraten bei aller knorrigen Intensität, die Isabel Zeumer als Mutter Gynt ihrer Figur verleiht, merkwürdig kühl; mit diesem Gynt mitzuleiden, dem Mokrusch eine Perspektive zugestehen will, fällt schwer. Immerhin die Sopranistin Regine Sturm als Solveig lässt vor allem in den Liedern die Bedingungslosigkeit ihrer Liebe zu Peer Gynt spürbar werden. Auch Andreas Möckel, unter anderem als Knopfgießer, und Kay Krause, Bremerhavener Schauspiel-Urgestein, der hier vor langen Jahren selbst als Peer Gynt auf der Bühne stand und jetzt unter anderem als Trollkönig mitwirkt, lassen ahnen, was aus diesem Abend hätte werden können, wenn die Hauptrolle adäquat besetzt wäre, der Stoff ein wenig straffer daherkäme und die Rockband mit ihren biederen Grieg-Anverwandlungen nicht so klischeehaft wirkte.

So erleidet die Inszenierung das Schicksal ihres Helden: Eine Erlösung findet nicht statt. Am Ende sitzt er ratlos da. Ein bisschen wie sein Publikum, das eher verhalten applaudiert. So richtig zünden will das nicht. Betrüblich durchaus, denn Mokrusch hat bewiesen, dass er auch ganz anders kann, zuletzt mit seiner spektakulären Inszenierung von Peter Maxwell Davies’ Oper „Kommilitonen!“

■ Nächste Vorstellung: Freitag, 9. Januar, 19.30 Uhr, Stadttheater Bremerhaven