Irakischer Künstler darf bleiben

Das Verwaltungsgericht Göttingen gibt der Klage eines irakischen Bildhauers gegen den Widerruf seiner Asylberechtigung statt. Der Künstler und Kommunist sei auch heute noch im Irak nicht sicher

VON REIMAR PAUL

Einem kommunistischen Bildhauer aus dem Irak, der vor dem Regime Saddam Husseins nach Deutschland geflohen war, droht im Irak auch derzeit politische Verfolgung. Er darf deshalb nicht abgeschoben werden. Das hat jetzt das Verwaltungsgericht Göttingen entschieden (AZ 2 A 571/05). Das Gericht gab damit der Klage des Künstlers gegen den Widerruf seiner Asylberechtigung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge statt.

Der Kläger Yussuf N. (Name geändert) ist Araber und Moslem, er kam im August 1993 in die Bundesrepublik. Als Mitglied der kommunistischen Partei war er im Irak massiven Repressionen seitens des Sicherheitsapparates ausgesetzt gewesen. Der Diplom-Bildhauer hatte deshalb die Hauptstadt Bagdad verlassen und sich zuletzt bei bewaffneten kurdischen Rebellen im Norden des Landes aufgehalten.

Für das damals noch so genannte Bundesamt für die Anerkennung politischer Flüchtlinge ein klarer Fall: N., der sich in den 1970er Jahren an internationalen Ausstellungen beteiligt hatte, erhielt im März 1994 per rechtskräftigem Bescheid politisches Asyl in Deutschland.

Doch seitdem hat sich der Wind gedreht. In hunderten Fällen widerriefen Behörden und Bundesamt Asylberechtigungen für irakische Flüchtlinge. Begründung: Die Situation in dem Land habe sich grundlegend geändert, politische Verfolgung gebe es nun nicht mehr, außerdem hätten viele Betroffene „inländische Fluchtalternativen“, zum Beispiel in den kurdisch kontrollierten Nordirak. Nach Protesten von Flüchtlingen und ihren Unterstützern regte das Bundesinnenministerium im vergangenen Mai immerhin an, bei alleinstehenden Frauen, Familien mit minderjährigen Kindern und kranken Flüchtlingen aus dem Irak solle „von der Einleitung von Widerrufsverfahren zunächst Abstand genommen werden“. Die Einschränkung gilt aber nur bis Mitte September.

Dem inzwischen in Göttingen lebenden Yussuf N. flatterte der Widerrufsbescheid des Bundesamtes im November 2005 ins Haus. Der Bildhauer mochte sich damit aber nicht abfinden und zog vor das Göttinger Verwaltungsgericht. Ihm drohe im Irak weiterhin politische Verfolgung, weil er ein bekannter Bildhauer und Angehöriger der kommunistischen Partei gewesen sei, argumentierte er. Im Nordirak habe er weder familiäre noch sonstige persönliche Kontakte.

Die Göttinger Verwaltungsrichter machten sich die Sache nicht leicht. Sie wälzten Schriftsätze, holten Stellungnahmen des vormaligen Deutschen Orient-Institutes und des Europäischen Zentrums für Kurdische Studien ein, und hörten Yussuf N. ausführlich in einer mündlichen Verhandlung an. Fazit des Gerichts: Die Aussagen und Schriftstücke ergäben „mit der erforderlichen Sicherheit, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr in den Irak jedenfalls als moderner bildender Künstler in das Blickfeld islamischer Gruppierungen geraten und dann seines Lebens nicht mehr sicher sein wird, weil sein gesamtes Lebenswerk den von diesen Gruppen vertretenen Wertvorstellungen fundamental widerspricht“. Anders als zu Zeiten Saddam Husseins sei N. zwar nicht mehr durch staatliche, sondern durch nicht-staatliche Verfolgung bedroht. Diese sei im vorliegenden Fall aber asylrelevant, „da die staatlichen Institutionen im Irak nicht in der Lage sind, irakische Bürger vor den Übergriffen dieser Gruppen zu schützen.“

Das Gericht konnte N. auch keine inländische Fluchtalternative aufzeigen. Ein Aufenthalt in den Kurdengebieten komme nur in Betracht, „wenn der Ausländer im Nordirak auf bestehende familiäre oder andere persönliche Beziehungen zurückgreifen kann“. Familienangehörige habe N. aber nur in Bagdad. „Andere Beziehungen in den Nordirak mag der Kläger als ehemaliger Peshmerga gehabt haben, er hat sie nach seiner mehr als 14-jährigen Abwesenheit mit Gewissheit jedoch aktuell nicht mehr.“