Ein Montagsjahr

2014 Pegida, Hogesa, Dügida, Dabadadu und Palim, palim sowie andere Merkwürdigkeiten – ein satirischer Jahresrückblick

VON HEIKO WERNING
(TEXT) UND OLIVER SPERL (ILLUSTRATION)

Mitsprache und Mitbestimmung! Es nimmt einfach kein Ende. Als ich neulich nach Hause kam, klebte ein Zettel an unserer Haustür, auf dem ich aufgefordert wurde, mich als „Kiezsprecher“ „zu engagieren“ und „einzubringen“.

Kiezsprecher! Da weiß ich ja nicht mal, ob es das überhaupt wirklich gibt, oder ob sich das nur wieder irgendwelche unausgelasteten und unterfickten engagierten Bürger für die langweilige Zeit zwischen dem nächsten Anwohnertreff für die Neugestaltung irgendeines verschissenen Grünstreifens und der nächsten Vollversammlung der Interessengemeinschaft „Mehr Frühblüher im Blumenbeet vor dem Südausgang von Karstadt“ ausgedacht haben.

Alle fordern immer mehr Bürgerbeteiligung. Soll ich euch mal was verraten? Es ist mir in Wirklichkeit scheißegal, ob das Tempelhofer Feld zur Berliner Serengeti wird, dem mystischen Ort, wo junge spanische oder amerikanische Touristen den Lachsen gleich hinziehen, um sich dort zu paaren, bevor sie in ihre Ursprungsgebiete zurückkehren, oder ob irgendwer da ein neues Manhattan hinbaut. Ich war da noch nie! Ich will da auch gar nicht hin! Hallo, das ist in Tempelhof!

Natürlich ist das wichtig. Aber wichtig sind tausend andere Sachen auch. Ich will mich aber nicht in die Bebauungspläne für irgendwelche Brachen einlesen müssen. Ich finde es ja schon ausnehmend lästig, dauernd darüber mitbestimmen zu sollen, wohin die Kinder auf Klassenfahrt fahren.

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Andererseits: Ulf Poschardt schreibt in der Welt nach der Abstimmung zum Tempelhofer Feld: „Berlin ist sediert von einem Anspruchsdenken, das in keinerlei Verhältnis zur Leistungsfähigkeit und -bereitschaft der Anspruchsformulierer steht. Es sind die ewigen Studenten, das Projektprekariat und die schmerbäuchigen Apologeten der Biotope für Wenignutze und rollerbladende Transferempfänger, die denen selbstbewusst Grenzen aufzeigen, die sich zackig ein schnelleres und anstrengenderes Berlin wünschen.“

Boah! Schmerbäuchige Apologeten der Biotope für Wenignutze – das ist zweifellos das schönste Kompliment, das jemals jemand den Berlinern gemacht hat. Allein dafür hat sich der Volksentscheid dann ja doch gelohnt.

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Auch der Berliner Senat beschimpft die Berliner. Er schließt aus dem Abstimmungsergebnis, dann sei den Stadtbewohnern an günstigem Wohnraum eben nicht gelegen. Michael Müller etwa. Der Name wird Ihnen jetzt wahrscheinlich nichts sagen, aber das ist dieser durch und durch unauffällige Langweiler, der gerade zum Regierenden Bürgermeister gewählt worden ist. Vermutlich, weil er zuvor als Stadtentwicklungs- und Wohnungsbausenator schon so vollumfänglich gescheitert war mit seinem Bebauungsplan eben für das Tempelhofer Feld.

Da kriegt einer also für das wichtigste Projekt seiner Amtszeit in einer Volksabstimmung von den Bürgern so richtig schön eins in die Fresse, und was schließt die Berliner SPD daraus? Genau: So einer muss ganz unbedingt unser nächster Bürgermeister werden! Wer erwiesenermaßen Großprojekte so dermaßen hübsch vor die Wand fahren kann, der ist der richtige Mann für die ganze Stadt. Und für den BER ja sowieso.

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Die Friedensbewegung steht jetzt Seit an Seit mit Antisemiten, Rechtspopulisten und Verschwörungsspinnern als Querfront, Friedenswinter und vor allem natürlich bei Montagsdemos vor dem Brandenburger Tor herum, um die Ausführungen von Ken Jebsen zu bejubeln: „Mein Vorbild ist die Natur! Im Wald gibt es keinen Krieg, der Wald produziert keinen Müll! Und die Zugvögel, die schaffen es jedes Jahr nach Afrika! Wenn die das demokratisch organisieren würden, kämen sie nur bis Sylt! Nein, die kommen bestens ohne Demokratie zurecht.“

Vor einer Meute am Brandenburger Tor mit Hang zur Natursymbolik gegen die Demokratie hetzen – das zeigt ja immerhin ein gewisses Traditionsbewusstsein.

Aber andererseits: Im Wald gibt es keinen Krieg? Das würde ja noch nicht mal die westliche Lügenpresse behaupten!

Die Natur als Vorbild, so, so. Dabei muss man nur einmal gucken, was Igel, Uhu und Marder da mit Eichhorn, Maus und Nacktschneck veranstalten. Ich fürchte, dieser Jebsen ist auch wieder nur so eine vom Weltfinanzjudentum ferngesteuerte Marionette, um uns kritisch denkende Bürger in den Wahnsinn zu treiben.

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Herrjeh, ihr „besorgten Bürger“! Pegida, Hogesa, Dügida, Dabadadu und Palim, palim – jetzt drehen wirklich alle durch. Und da nehmen sie schon die bescheuertsten Namen, die man sich überhaupt ausdenken kann – und in Marzahn sind sie sogar dazu zu blöd. Zu kompliziert wahrscheinlich, die Sache mit den vielen verschiedenen Anfangsbuchstaben. Soll ja auch kein Akademikerprotest sein. Da gehen sie lieber auf eine – Achtung, Überraschung! – „Montagsdemonstration“.

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Überfremdung total: Im Tierpark Friedrichsfelde sind die deutschen (!) Wildschweine abgeschossen worden, um Platz zu schaffen für irgendwelche afrikanischen (!) Buschschweine.

Hallo, Anwohner? Höchste Zeit für eine Montagsdemo! Gegen die Islamisierung des deutschen Schweinestalls!

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Montagabend, ein einsamer Mann steht auf dem Leopoldplatz im Wedding. Nein, die Wegida-Bewegung kann an die Erfolge in Marzahn und Dresden nicht anknüpfen. Zwar mangelt es auch hier nicht an volltrunkenen Deutschen, aber statt über Ausländer schimpft man lieber über das Wetter oder die „Olle“ aka „Schlampe“. Nur Peter G. hält tapfer sein Schild gegen die Islamisierung des Wedding in die Höhe. Niemand beachtet ihn. Tarkan Ö. vom Imbiss gegenüber bekommt Mitleid, bringt ihm einen Becher Tee und klopft ihm freundschaftlich tröstend auf die Schulter. Peter G. wärmt seine klammen Hände an dem Becher, stellt sein Pappschild in die Ecke, und gemeinsam ziehen die beiden anschließend ins Weddinger Abendland aus Spielcasinos, Spätkaufs und Shoarma-Buden. Es gibt durchaus noch Hoffnung.

■ Abendfüllender Jahresrückblick mit Werning & der Weddinger Vorlesegang Brauseboys, Comedyclub Kookaburra, bis 10. 1. 2015

Jahresrückblick aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der taz.berlin SEITE 44, 45