GERICHTSURTEIL ZEIGT: DIE UKRAINE BEWEGT SICH IN RICHTUNG EUROPA
: Punktsieg für Julia

Egal welcher Partei die Ukrainer am 30. September ihre Stimme geben, zwei Gewinner stehen bereits fest: Julia Timoschenko – und der ukrainische Rechtsstaat. Die streitbare Politikerin und Heldin der orangenen Revolution von 2004 darf mit ihrer gleichnamigen Partei BJUT jetzt doch bei den Parlamentswahlen antreten. So jedenfalls lautet das Urteil eines Kiewer Verwaltungsgerichts. Zudem zeugt die Entscheidung des Gerichts von einer unerwarteten Unabhängigkeit und verdient Respekt, auch von denjenigen, die die Errungenschaften der Revolution bereits verloren glaubten. Ein Ausschluss von BJUT, die zwischen 14 und 17 Prozent der Stimmen bekommen könnte, hätte die Legitimität der Abstimmung in Frage gestellt und den Prozess der Demokratisierung kaum befördert.

Doch die Botschaft der Gerichtsentscheidung weist weit über die Wahlen hinaus. Sie ist ein Beleg dafür, dass sich die Judikative zu emanzipieren und ihre Rolle als Kontrolleur von Exekutive und Legislative in einem gewaltenteiligen System endlich wahrzunehmen beginnt. Um die Bedeutung dieses Fortschritts in einem Land wie der Ukraine zu ermessen, reicht ein Blick nach Weißrussland oder Russland. Auch hier ist ein Ausschluss missliebiger Kandidaten und Parteien ein probates Mittel, um Wahlen zu manipulieren und das gewünschte Ergebnis sicherzustellen. Den Rechtsweg zu beschreiten erübrigt sich, da die Gerichte reine Befehlsempfänger der jeweiligen Präsidialverwaltung sind.

Die jüngste Gerichtsentscheidung ist vielleicht nicht das letzte Wort im Streit zwischen Julia Timoschenko und der zentralen Wahlkommission. Schon wird in Kiew eine endlose juristische Schlammschlacht im Wahlkampf und sogar über den Wahltag hinaus befürchtet. Doch das ist nicht unbedingt schlecht – Konflikte so zu lösen ist in einem Rechtsstaat üblich. Sollten also ukrainische Gerichte in den nächsten Wochen vermehrt mit „Wahlklagen“ befasst werden, wäre das ein ermutigendes Anzeichen dafür, dass das Vertrauen in die Gerichtsbarkeit wächst und sich die Ukraine Europa tatsächlich annähert. BARBARA OERTEL