: Ein rauschvolles Triebleben der Klänge
FESTIVAL Mit Berlioz’ „Symphonie fantastique“ eröffnete am Samstag das Philadelphia Orchestra das dreiwöchige Musikfest 2011
Wenn man „Philadelphia“ hört, wird man hoffentlich auch in Zukunft nicht nur an Käse denken. Noch verfügt die Stadt an der amerikanischen Ostküste mit dem Philadelphia Orchestra über einen Klangkörper von Weltrang. Im April dieses Jahres hat die Orchesterverwaltung allerdings Konkurs angemeldet; die Zukunft ist recht unklar.
Offenbar haben die Berliner Festspiele rechtzeitig gebucht, denn das Philadelphia Orchestra eröffnete plangemäß das diesjährige Musikfest, und das mit einem Programm, das durchweg große Besetzung erfordert – so können alle noch mal dabei sein. Rihm, Liszt und Berlioz teilen sich den Abend, und gleich das erste, kürzeste Stück des Programms, „Verwandlung 3“, das Wolfgang Rihm erst vor ein paar Jahren schrieb, füttert die Ohren an mit dem opulenten Orchesterklang, der den Abend prägen wird. Rihm, der, wie das Programmheft zu berichten weiß, in dieser aktuell letzten Schaffensperiode „spontaneistisch, vegetativ, dem ‚Triebleben der Klänge‘ nachlauschend“ komponiert, bringt mit vorwärtsdrängendem Impetus große Streichergruppen in Wallung und führt einen rauschhaften musikalischen Gestus ein, der sich im anschließenden Klavierkonzert Nr. 2 A-Dur von Franz Liszt ganz natürlich fortsetzt.
Der Pianist Jean-Yves Thibaudet und das Orchester legen damit ein kleines Bravourstück hin, in der Ausführung virtuos und mitreißend, im Zusammenspiel absolut kongenial, das Dirigat von Charles Dutoit klar und sehr dicht beim Orchester. Auch optisch großartig sind jene Momente, in denen Solist, Dirigent und Orchester in einer großen Choreografie aufzugehen scheinen; eine Art La-Ola-Welle der Symphonik.
Noch viel mehr verschiedene Dinge zu tun bekommen die MusikerInnen nach der Pause bei Hector Berlioz’ monumentaler „Symphonie fantastique“. Dutoit dirigiert diesen Meilenstein der Programmmusik auswendig, gebärdet dabei so expressiv, dass man mitunter das Gefühl hat, rein passives Zuhören sei zu wenig, um diese Performance angemessen zu rezipieren. Mein Gott, stellt man beim Blick ins Programmheft fest, der Mann ist schon 75! Und dirigiert dieses exaltierte, ausufernde Werk, das ein 27-jähriger im Liebeswahn komponierte, als wär’s ein Stück von ihm. Bedauerlicherweise ist das Publikum nicht durchweg von derselben Ausdauer und sondert insbesondere in den berückend innig gespielten Solobläserpassagen eine enervierende unterdrückte Unruhe aus. Alle aber sind bereit, das Orchester am Schluss begeistert zu feiern.
Berlioz, dem der Großteil dieses Eröffnungsabends zufiel, kommt im Gesamtrahmen des diesjährigen Musikfests nur die Rolle eines Sidekicks zu – der aber insofern als Einleiter des Ganzen prädestiniert ist, als der junge Franz Liszt den um acht Jahre älteren Kollegen sehr verehrte und viel für die Rezeption seines Werkes in Deutschland tat.
Das Werk von Liszt selbst, dessen Geburtstag sich in diesem Oktober zum 200. Mal jährt, ist einer der Schwerpunkte des Festivals, knapp geschlagen von Wolfgang Rihm, von dem insgesamt dreizehn Werke aufgeführt werden und der als einziger der diesjährig geehrten Komponisten noch die Freude hat, persönlich anwesend sein zu können. Als einer der Höhepunkte des Festivals wird die Aufführung von Luigi Nonos „Prometeo“ (16./17. 9.) gehandelt. Auch der Auftritt der Berliner Philharmoniker mit unter anderem Mahlers Achter wird mit Spannung erwartet. Aber dieses Konzert ist natürlich schon lange ausverkauft.
KATHARINA GRANZIN
■ Programm des Musikfests 2011 unter www.berlinerfestspiele.de
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