VERFASSUNGSREFORM IN VENEZUELA: CHÁVEZ MUSS NOCH VIEL LERNEN
: Erinnerungen an vorgestern

Eine neue Ära in Richtung Sozialismus des 21. Jahr- hunderts werde mit dem Entwurf der neuen Verfassung eingeleitet, hat Venezuelas Präsident Hugo Chávez den Abgeordneten in der Nationalversammlung erklärt. Die neue Verfassung werde der Bevölkerung mehr Macht geben. Dazu will er Räte auf kommunaler Ebene einrichten sowie Studenten-, Arbeiter- und Bauernräte. Gleichfalls will er die uneingeschränkte Wiederwahl des Präsidenten und eine Verlängerung seiner Amtszeit auf sieben Jahre in der Verfassung verankern.

Das Vorhaben erinnert mehr an den demokratischen Zentralismus alter sozialistischer Prägung als an den Aufbruch in ein neues sozialistisches Zeitalter mit dezentraler Beteiligung der Bevölkerung an den Entscheidungsprozessen. Chávez-Gegner werden sich denn auch den Wunsch des Präsidenten nach uneingeschränkter Wiederwahl herauspicken und zusammen mit den Sondervollmachten, die ihm das Parlament Anfang des Jahres eingeräumt hatte, als einen weiteren Beweis für den Weg Venezuelas in eine Diktatur anführen. Für die meisten Menschen in Venezuela ist diese Beweisführung jedoch abstrakt, akademisch und für das tägliche Überleben uninteressant. Die Mehrheit der Bevölkerung ist verarmt und war zudem jahrzehntelang von einer Beteiligung an der politischen Willensbildung ausgeschlossen. Das macht sie wenig empfänglich für politische Partizipationstheorien, hat sie aber auch schlecht vorbereitet auf mehr Mitbestimmung. Der gelernte Soldat Hugo Chávez und seine Landleute werden also dazulernen müssen.

Chávez geht weiter den parlamentarisch-demokratischen Weg. Die Zustimmung der Nationalversammlung, in der 167 gewählte Chávez-Anhänger alle Mandate besitzen, gilt als Formsache. Danach muss die Bevölkerung selbst mit Mehrheit für oder gegen die Vorlage stimmen. Bis Anfang 2008 soll dies alles über die Bühne gegangen sein. Die rechte Opposition hat also außerparlamentarisch alle Chancen, gegen den Entwurf zu mobilisieren. Mit der Warnung vor einer Diktatur wird sie nicht weit kommen. JÜRGEN VOGT