KOMMENTAR VON STEFAN REINECKE
: Bitte keine Wählerbeschimpfung

Warum wählen gehen, wenn die Parteien sich so wenig unterscheiden?

Die Wahlbeteiligung ist mal wieder gesunken, die Nazis sind schon wieder im Landtag – typisch Ostdeutschland. So werden viele dieses Wahlergebnis lesen. Doch ehe diese routinierte Beschwerde über den Osten anhebt, der die Segnungen der Demokratie auch nach 20 Jahren noch nicht zu schätzen weiß, sollte man kurz innehalten. Die Wähler im Nordosten haben sich nicht ignorant verhalten, sondern angemessen. Was stand diesmal eigentlich zur Wahl? Linkspartei, Grüne und CDU wollen allesamt unbedingt mit der SPD koalieren. Im Wahlkampf wurde nur ein strittiges Thema sichtbar: Die Linkspartei will einen Mindestlohn, die CDU lieber nicht. Das war, um kollektive politische Leidenschaften zu entfesseln, zu wenig.

Deshalb ist fast jeder zweite Bürger zu Hause geblieben, deshalb hat die NPD es doch ganz knapp ins Parlament geschafft. Die Lehre daraus lautet nicht, Wähler zu beschimpfen. Sondern: Wenn die einzig aufregende Frage lautet, ob die NPD es in den Landtag schafft, dann fehlt im Konkurrenzstreit der demokratischen Parteien etwas Entscheidendes.

Das Wahlvolk hat seine Sympathien indes sehr gezielt vergeben. Die CDU hat verloren, weil sie an der Seite der SPD unauffällig bis an die Grenze des Unsichtbaren agiert hat. Auch das vernichtende Ergebnis für die Liberalen ist verständlich. Die FDP in Schwerin litt unter heftigen Personalquerelen. Zu Mindestlöhnen fiel ihr außer einem Fundi-Nein nichts ein. Damit landet man in einer Region, in der Niedriglöhne ein Problem der Mittelschicht sind, im Abseits.

Die SPD wurde für ihren smarten Ministerpräsidenten und die schwindende Arbeitslosigkeit belohnt, auch wenn die nur demografische Gründe hat. Die Linkspartei, deren Führung in Berlin eine schrille Selbstdemontage vorführte, hat der Souverän glimpflich davonkommen lassen. Rot-Rot ist jedenfalls möglich.

Diese Wahl ist kein Indiz, dass die Bürger im Nordosten unsichere Kantonisten für die Demokratie sind. Sie sind keine Pflichtdemokraten, die zu jeder Wahl gehen, egal was auf dem Spiel steht. Sie treten wie Konsumenten auf, die je nach Angebot entscheiden. Im Westen funktioniert Politik auch nicht anders.

Und nun? Die SPD kann geräuscharm mit der CDU weiter regieren. Oder sie kann es mit der Linkspartei versuchen. Rot-Rot würde kein ganz so leichtgängiges Bündnis. Aber eines, das jedenfalls bei den Löhnen mehr erreichen kann.